Tennessee: Reise zum Geburtsort der Country-Musik
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Country und Kitsch. Pigeon Forge ist eine künstliche Kulisse.
© Quelle: imago/Jochen Tack
Es ist nur eine halbe Stunde mit dem Auto, die die überdrehte Stadt Pigeon Forge von den Great Smoky Mountains trennt. Amerikas meistbesuchter (und eintrittsfreier) Nationalpark ist das, eine gigantische Bergkette, in der die Besucher genauso auf Bären treffen können wie auf Truthähne.
Die Great Smoky Mountains berühren mehrere Bundesstaaten und haben Dimensionen, die Vergleiche mit dem Grand Canyon unabdingbar machen – nur, dass die Berge in die Höhe ragen, sich keine Schluchten in die Tiefe fressen. Vorher aber geht es eben durch Pigeon Forge.
Das Tor zu einem spektakulären Naturerlebnis ist ein Mini-Las-Vegas ohne Glücksspiel und Anzüglichkeiten. Familienfreundlich, wir sind ja in Tennessee, Teil des „Bible Belts“, des Bibelgürtels. Wo Menschen noch glauben und sich nicht den Versuchungen der großen Küstenstädte hingeben. Und wir sind im Land der Gegensätze.
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Tennessee – ein US-Bundesstaat entwickelt sich
Tennessee ist vor allem berühmt für Nashville und Memphis, wo Elvis’ Graceland-Villa steht. Eine Reise durch den Osten des lang gezogenen Staates aber ermöglicht noch tiefere Einblicke in die amerikanische Kultur. Natur und Kommerz. Geschichte und obszön große Nachtischportionen. Country und Kitsch.
Um die Smokys herum wird das besonders deutlich. Pigeon Forge ist zuerst eine einzige Geschmacklosigkeit, mit Themenhotels, einem „Titanic“-Nachbau, Pyramiden, Riesenrad und einem Mount Rushmore, aus dem statt ehemaliger Präsidenten Marilyn, Elvis, John Wayne und Chaplin ragen. Dann aber wird langsam klar, dass das hier das ländliche Amerika ist. Eine künstliche Kulisse, die allein dadurch authentisch ist, dass der Besucher sich genau so seinen Urlaubsort vorstellt.
Im nahe gelegenen Gatlinburg gibt es dann auch die US-Variante eines österreichischen Skiorts. Mit Waffelrestaurants, Plastikwaffenshops und Moonshine-Bars. Moonshine ist so etwas wie Doppelkorn, er wurde bis zur Legalisierung heimlich nachts bei Mondschein in der Gegend gebrannt. Inzwischen sind die vielen Probierstationen bei den Wochenendgästen sehr beliebt. Die, so sagen sie, aber vor allem wegen der Natur kommen. Nach einem 50-Kilometer-Marsch durch die Berge hat man sich ein bisschen Entertainment verdient.
Aber auch die weniger künstlichen Städte bauen aus, entwickeln sich zu besuchenswerten Destinationen. Knoxville zum Beispiel, eine 180.000-Einwohner-Stadt, die 1982 die Weltausstellung zu Gast hatte. Die „Sunsphere“, ein Turm mit begehbarer goldener Kugel als Spitze, zeugt noch davon. Nach der Messe geschah lange nichts. Erst in den vergangenen Jahren wurde der Marktplatz saniert, Downtown mit seiner Einkaufsstraße und dem wunderschönen Theater durch Bars und Restaurants aufgewertet – ganz ohne Franchiseketten.
Identität schaffen, auch mit Countrymusik. Wochentags lädt der Countrysender WDVX täglich zum Studiokonzert. Der Hipster zieht ins vornehme "The Oliver Hotel", in dem schon Film- und Rockstars lebten, trinkt Craftbiere auf Dachterrassen-Bars und kauft Schallplatten in kleinen Musikläden. Und isst im „Crù Bistro & Wine Bar“ amerikanische Küche, die auch, aber bei Weitem nicht nur mit Rippchen und Burgern zu tun hat. Das All-American-Frühstück mit Pancakes, Speck, Eiern und Röstkartoffeln bekommt man ja trotzdem überall. Masse – und Klasse, eigentlich immer. Das können sie hier.
Die Liebe zur Country Music erblüht
Ähnliches versucht auch das kleine Städtchen Chattanooga, das mit einem Song über die Eisenbahn („Chattanooga Choo Choo“) weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt wurde.
Höhepunkt des Stadtbesuches, der sich als erster Stopp zum Beispiel nach einer Ankunft in Atlanta empfiehlt, ist„Ruby Falls“, ein unterirdisches Höhlensystem, entdeckt von Leo Lambert 1928. Der Unternehmer fragte sich, was sich unter dem Berg auf seinem Land finden ließe. Er ließ einen fast 350 Meter tiefen Schacht ausheben, entdeckte einen Gang.
Wobei: Gehen war nicht möglich, sieben Stunden kroch Lambert einen schmalen Schacht entlang – um dann in einen riesigen, Kathedralen-artigen Raum zu gelangen, in dem ein Wasserfall sprudelte. Tags darauf überzeugte er seine Frau Ruby davon, sieben Stunden lang hin- und noch mal zurück zu kriechen – um den Wasserfall nach ihr zu benennen.
Noch heute in der inzwischen aufrecht begehbaren Höhle ist der Moment, in dem man Rubys unterirdischem Wasserfall gegenübersteht, ein imposanter. Aber auch ein amerikanischer: Das Naturwunder allein reicht nicht, es braucht Licht- und Musikshow.
Besuch des Choo-Choo-Bahnhofes
Wer danach noch Zeit hat, fährt mit der steilsten Bahn der Staaten („Incline Railway“), kann im Park „Rock City“ neben einer Gartenzwergausstellung (die Gründer haben deutsche Wurzeln) auch einen Ausguckpunkt erreichen, der den Blick auf sieben Bundesstaaten ermöglicht. Und besucht den alten Choo-Choo-Bahnhof, heute ein Hotel, um in einem zum Hotelzimmer umgearbeiteten Waggon zu nächtigen.
Die Stadt Bristol dagegen ist vor allem stolz auf die musikalische Vergangenheit. Im „Birthplace of Country Music“ wird diese Geschichte nachvollziehbar für Touristen, deren Country-Kenntnisse bei Johnny Cash und Dolly Parton enden. Als sich die Schallplatte durchsetzte, stieg der Bedarf an Künstlern enorm.
Weil die Gegend um Bristol für ihre interessanten Klänge, den Bluegrass vor allem, aber auch andere Formen, bekannt war, veranstalteten findige Plattenfirmen hier ein Casting. Die „Bristol Sessions“ sind bis heute legendär in der Szene, beeinflussten die Countrymusik nachhaltig. Im gerade eröffneten, hochmodernen Museum lässt sich diese Pionierzeit hervorragend nachvollziehen. Hier, fernab der aufdringlichen Leuchtreklamen von Pigeon Forge, kann die Liebe zur Countrymusik schnell erblühen. Und damit zu Tennessee. Mit all seinen Gegensätzen.
Reisereporter