Unter der Oberfläche: Europas geheimnisvolle Unterwelten
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Sehenswürdigkeit unter Istanbul: Die historische Zisterne liegt in der Nähe der Hagia Sophia. Vom lauten Großstadt-Trubel ist im Untergrund nichts zu hören.
© Quelle: Image images/ZUMA Wire
Die Finsternis, ganz gleich, ob in Literatur, Kunst oder Film, hat schon immer einen eher unrühmlichen Ruf. Dunkle Situationen erscheinen den meisten Menschen zunächst mal bedrohlich und womöglich böse.
Vielen düsteren Orten wird dieses Stigma jedoch nicht gerecht, denn unterhalb der Erdoberfläche verbergen sich aufregende und einzigartige Attraktionen. Der reisereporter stellt dir die geheimnisvollen Unterwelten Europas vor. Aber Achtung: Ein bisschen Grusel gehört natürlich dazu.
1. Schweiz: Lac Souterrain
Unter den Weinbergen des Schweizer Kantons Wallis verbirgt sich der größte Unterwassersee Europas: der Lac Souterrain. Das 300 Meter lange und 20 Meter breite Gewässer ist über viele Millionen Jahre hinweg im heutigen St-Léonard entstanden.
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Untergrund-Attraktion in den Schweizer Alpen: Der Unterwasser-See Lac de Souterrain.
© Quelle: imago images/Hans Lucas
Der See liegt in 30 bis 70 Metern Tiefe und war ursprünglich vollständig mit Wasser gefüllt, bis bei einem Erdbeben 1946 Risse in den Wänden und auf dem Grund des Sees entstanden. Der Wasserspiegel sank in den Folgejahren, was es ab 1950 möglich machte, die Höhle mit Booten zu erkunden. Heute wird das Wasser regelmäßig abgepumpt.
Bei einer geführten Tour können Besucherinnen und Besucher die stille Magie des Sees erleben und in einem Ruderboot über das klare, rund elf Grad kalte Wasser gleiten.
2. Frankreich: Grotte de Lombrives
Die größte Höhle Europas liegt genau genommen nicht im Untergrund, sondern in 550 bis 650 Metern Höhe inmitten des Bergmassivs Cap de la Lesse in den Pyrenäen. Die Grotte de Lombrives ist 14 Kilometer lang und verläuft auf drei Ebenen, die durch schmale Schächte verbunden sind.
Besucherinnen und Besucher werden mit einem kleinen Zug zum Höhleneingang gefahren und von Tourguides durch die Grotte mit 20 großen „Sälen“ navigiert. Zu den Highlights zählen „La Cathédrale“, ein 80 Meter langer und fast 100 Meter hoher Höhlenraum, der an ein Kirchenschiff erinnert, und der noch größere „Salle de l’Empire de Satan“ – die Kammer im Reich Satans. Unterwegs stoßen die Besuchergruppen auf eine steinige Wunderwelt mit bunten Kristallen, Stalaktiten, Stalagmiten, kugelförmige Sinterperlen sowie auf einen 600 Meter langen Galerie-Tunnel.
Die Höhle ist seit Menschengedenken bekannt – an den Wänden finden sich bis zu 16.000 Jahre alte Spuren und Malereien.
3. Türkei: Verborgener Palast in Istanbul
Auf der Grenze zwischen Europa und Asien liegend, darf auch Istanbul in dieser Auflistung vorkommen. Von den quirligen Straßen der Stadt, ganz in der Nähe der Hagia Sophia, führt eine Treppe mit 52 Stufen zu einem Ort der absoluten Stille: zur Zisterne Yerebatan Sarnici Müzesi. Der „versunkene Palast“ wurde im sechsten Jahrhundert vom byzantinischen Kaiser Justinian I. erbaut und diente damals als Wasserreservoir für den Großen Palast.
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Der ehemalige Wasserspeicher in Istanbul wird für die Besucherinnen und Besucher bunt beleuchtet.
© Quelle: Imago images/Zoonar
Die Gewölbe des historischen Wasserreservoirs werden von 336, jeweils neun Meter hohen Marmorsäulen getragen, die in zwölf Reihen angeordnet sind. Unter den Füßen der Besucherinnen und Besucher, die das beeindruckende Bauwerk auf Stegen erkunden, spiegelt sich kristallklares Wasser aus dem Hochland, in dem Koi-Karpfen schwimmen.
Angesichts der prachtvollen Architektur mit liebevollen Verzierungen erscheint es umso faszinierender, dass Justinian I. das kunstvolle Bauwerk in der Annahme errichten ließ, dass es für immer vollständig mit Wasser gefüllt und niemals sichtbar sein wird. Doch es kam anders.
Das für Touristinnen und Touristen vollständig erschlossene Bauwerk ist inzwischen eines der beliebtesten Museen in Istanbul, in dem regelmäßig Konzerte stattfinden. Zu den beeindruckendsten Zeugnissen aus der Vergangenheit zählen zwei Medusa-Statuen, die auf dem Grund der Zisterne gefunden wurden.
4. Slowenien: Höhle von Postojna
Von der Höhle bei Postojna in Slowenien war nur der Eingang bekannt, bis Kaiser Franz I. von Österreich im Jahr 1818 einen Besuch mit seiner Frau Auguste ankündigte. Für die Vorbereitung erhielt Erzählungen von damals zufolge ein sogenannter Lichtwärter die Aufgabe, eine Aufschrift in einem unzugänglichen Bereich anzubringen. Dabei entdeckte er das gesamte Ausmaß der Höhle.
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Die Höhle von Postojna führt tief in den Untergrund. In die beeindruckenden Säle würden ganze Häuser hineinpassen.
© Quelle: imago images/VWPics
Heute steht fest: Das Naturwunder reicht 24 Kilometer in das Karstgestein und ist damit die zweitgrößte für den Tourismus erschlossene Tropfsteinhöhle der Welt. Tourguides führen durch verschlungene Gänge und zu gigantischen Sälen. Das größte Schmuckstück ist ein riesiger Stalagmit, der wegen seines hellweißen Glanzes als Brillant bezeichnet wird.
Ein weiteres Highlight ist eine knapp vier Kilometer lange Eisenbahn, mit der Besucherinnen und Besucher in die Höhle gefahren werden. Die Züge rollen auch durch den sogenannten Tanzsaal, an dessen Decke ein großer Kronleuchter montiert ist, der den beeindruckenden Raum illuminiert.
Die Höhle von Postojna liegt zwischen Sloweniens Hauptstadt Ljubljana und der Adriaküste. Nach Angaben der Betreibenden wurden die Karstgrotten seit ihrer Eröffnung von 36 Millionen Touristinnen und Touristen besichtigt.
5. Tschechien: Beinhaus von Brünn
Pest und Cholera brachten die Friedhöfe in vielen europäischen Städten im 14. Jahrhundert an ihre Grenzen. Um Platz zu schaffen, ließen sich die Bestatter zum Teil „kreative Lösungen“ einfallen.
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Grabstätte für Zehntausende: Das Beinhaus in der Kapelle der St.-Jakobs-Kirche in Brünn.
© Quelle: imago images/Volker Preußer
Auch in der tschechischen Stadt Brünn wurde der Platz auf dem innerstädtischen Friedhof im Mittelalter knapp. Daraufhin entwarf die St.-Jakobs-Kirche ein Austauschprogramm und bettete die Toten nach zehn bis zwölf Jahren in ein sogenanntes Beinhaus um.
In dem Massengrab haben im Lauf der folgenden Jahrhunderte schätzungsweise 50.000 Menschen ihre letzte Ruhe gefunden. Heute gilt die Gruft mit zahllosen Totenschädeln als zweitgrößtes Beinhaus Europas und ist eine beliebte Touristenattraktion in Tschechien.
6. Frankreich: Die Katakomben von Paris
Größer als in Brünn ist das Grusel-Ausmaß in Europa nur in den Katakomben von Paris: Besucherinnen und Besucher steigen im Herzen der französischen Hauptstadt 130 Treppenstufen hinab und finden sich in einem Massengrab mit den Gebeinen von schätzungsweise sieben Millionen Menschen wieder.
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Grusel statt Romantik: In den düsteren Katakomben unter den Straßen der Liebeshauptstadt Paris türmen sich Schädel und Knochen von verstorbenen Menschen.
© Quelle: imago images/blickwinkel
Hinter dem Info-Schild „Bleib stehen! Hier ist das Reich des Todes“ spazieren Besucherinnen und Besucher durch ein zwei Kilometer langes Labyrinth, in dem die Knochen und Schädel der Verstorben sorgsam und teilweise künstlerisch anmutend aufgereiht und gestapelt sind. Weil der Platz auf den Friedhöfen der wachsenden Stadt im 18. Jahrhundert nicht mehr ausreichte, wurden die Gebeine der Verstorbenen in den ehemaligen Kalksteinbruch umgebettet.
Die Faszination am „Reich der Toten“, das schon seit dem frühen 19. Jahrhundert für die Öffentlichkeit zugänglich ist, ist bis heute ungebrochen. Das Beinhaus zählt zu den berühmtesten Attraktionen in Paris und wird jährlich von etwa 300.000 Besucherinnen und Besuchern besichtigt.
7. Italien: Galleria Borbonica in Neapel
Europas Pizza-Hauptstadt Neapel teilt sich – genauso wie das weltberühmte Teigstück, das dort erfunden worden sein soll – sozusagen in einen oberirdischen Belag und eine darunter liegende Basis auf. Denn unter den Häusern und Straßen verbirgt sich eine Untergrundwelt, auf der die Stadt vor vielen Jahrhunderten errichtet wurde.
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Galleria Borbonica: Im Untergrund von Neapel rosten von der Polizei beschlagnahmte Autos vor sich hin.
© Quelle: imago images/imagebroker
Die spannenden Katakomben und Tunnelsysteme im neapolitanischen Untergrund können Besucherinnen und Besucher auf speziellen Führungen besichtigen. Alte Regenwasserspeicher der Griechen und Römer verlaufen in bis zu 40 Metern Tiefe und wurden im Laufe der Jahrhunderte für geheime Fluchtwege von Königen, als Unterschlupf für Kriminelle, als Luftschutzbunker im Zweiten Weltkrieg und auch als Lager für Müll und Schrott genutzt.
Ein Forscher, der das Höhlensystem in den Achtzigerjahren auf seine Standfestigkeit hin untersuchte, fand in der sogenannten Galleria Borbonica sogar einen „Geisterparkplatz“, auf dem die Polizei in den Sechzigerjahren beschlagnahmte Fiats, Vespas und andere Fahrzeuge abgestellt hatte. Auch hierfür wird eine eigene Führung angeboten.
8. Bayern: Eiskapelle am Watzmann
Unterhalb der mächtigen Ostwand des Watzmanns (2700 Meter) in Berchtesgaden in Bayern liegt das am tiefsten gelegene permanente Eisfeld der deutschen Alpen: die sogenannte Eiskapelle.
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Ein Bergsteiger erkundet die Eiskapelle am Fuß der Watzmann-Ostwand. Ohne fachkundige Hilfe sollte die Höhle nicht betreten werden.
© Quelle: imago images/imagebroker
Im Inneren befindet sich ein Gletschertor zu einem Höhlensystem, das im Sommer bis zu 30 Meter Breite und 15 Meter Höhe hat. Die spektakulären Formationen werden von Schmelzwasser und warmer Luft geformt, bis sie im Winter wieder zufrieren. Dadurch ändert die Eiskapelle jedes Jahr ihre Gestalt.
Um das Gebiet zu erreichen, müssen Besucherinnen und Besucher eine etwa sechs Kilometer lange Wanderung von St. Bartholomä bewältigen (Höhenunterschied: 250 Meter). Betreten sollte man die Eiskapelle aber nur mit einem erfahrenen Führer oder einer erfahrenen Führerin, da sie ständig einsturzgefährdet ist.
9. NRW: Unterwasser-Bergwerk in Nuttlar
Abtauchen im Sauerland: Das kleine Dorf Nuttlar in Nordrhein-Westfalen zählt zu den berühmtesten Tauch-Spots der Welt. In einem ehemaligen Schieferbergwerk sind Taucherinnen und Taucher in großer Tiefe unterwegs. Die mystische Unterwasserwelt erinnert ein Stück weit an das Reich der Zwerge aus der „Herr der Ringe“-Trilogie.
Höhlentauchen zählt zu den anspruchsvollsten Disziplinen von Unterwassersportlerinnen und ‑sportlern, denn in absoluter Dunkelheit können die schmalen Stollen zur tödlichen Falle werden. Für ein Tauch-Abenteuer in Nuttlar ist eine offizielle Höhlentaucher-Bescheinigung deshalb Pflicht.
Im Schein ihrer Taschenlampen finden Taucherinnen und Taucher die ehemaligen Stollen genauso vor, wie sie die Bergleute vor der Flutung einst verlassen haben. Es gibt zwei Gänge mit einer Gesamtlänge von zwölf Kilometern, in denen sich beeindruckende Schiefermauern und Abbaukammern erkunden lassen. Auf der mittleren Förderstrecke beträgt die Tauchtiefe 14 Meter und auf der unteren Förderstrecke bis zu 39 Meter.
10. Mallorca: Die Drachenhöhle
Mallorca ist den meisten Menschen als Destination für Strandurlaub bekannt. Was viele nicht wissen: Die Balearen-Insel ist auch ein Höhlen-Paradies. Mehr als 4000 unterirdische Grotten soll es auf Mallorca geben, darunter fünf Tropfsteinhöhlen.
Zu den berühmtesten Grotten zählt, neben den Cuevas de Artà nahe Canyamel, den Coves dels Hams an der Ostküste und der naturbelassenen Höhle von Campanet im Nordwesten, die sogenannte Drachenhöhle bei Porto Cristo im Süden.
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Mallorca-Feeling unter Tage: In der Drachen-Höhle rudert ein Besucher auf dem unterirdischen See.
© Quelle: imago images/Schöning
In den Cuevas del Drach können Besucherinnen und Besucher beeindruckende Stalagmit-Formationen bestaunen und einen unterirdischen See mit einer rund zehn Meter hohen Decke erkunden.
Auf den Führungen erwartet die Besuchergruppen stets eine Überraschung: Orchestermusikerinnen und Orchestermusiker spielen auf Booten klassische Musik – die Akustik der Höhle macht die Konzerte, für die die Höhle abgedunkelt wird, zu einem beeindruckenden Hör-Erlebnis.
11. Dänemark: Atombunker in Jütland
Für die Öffentlichkeit war der Atombunker Regan Vest in Jütland jahrzehntelang geschlossen. Nun gewährt Dänemark Besucherinnen und Besuchern erstmals Einblick in das einstige Geheimprojekt und bietet sogar Führungen an.
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Der Atombunker Regan Vest in Dänemark liegt etwa 60 Meter unter der Erdoberfläche.
© Quelle: imago images/Ritzau Scanpix
Der Atombunker aus den Sechzigerjahren wurde zum Schutz der dänischen Königsfamilie und wichtiger Regierungsmitglieder im Falle eines dritten Weltkrieges gebaut. 2012 wurde die Anlage aufgegeben und im Februar 2023 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Geführte Touren, auf denen auch über den Kalten Krieg gesprochen wird, erklären den Bunker-Aufbau und die Funktionen der Einrichtung, darunter eine Krankenstation, ein großer Saal, Maschinenräume, eine Kommunikationszentrale und die Privaträume der Königsfamilie. In der Bunker-Kantine werden auf Sondertouren dänische Spezialitäten gereicht wie etwa Smørrebrød.
12. England: Underground in London
Londons U-Bahn ist eng mit der Stadtgeschichte verwoben. Die ersten Gleise wurden bereits vor 160 Jahren verlegt – das Underground-Netzwerk in Großbritanniens Hauptstadt ist das älteste der Welt.
Um die historischen Stationen ranken sich viele spannende Geschichten, die nicht nur Locals, sondern auch Touristinnen und Touristen faszinieren. Das London Transport Museum bietet deshalb Themenführungen an, bei denen Besucherinnen und Besucher verlassene Tunnel, geheime Bunker und versteckte Treppen erkunden können.
Viele Orte unterhalb der pulsierenden Großstadt waren über viele Jahre hinweg für die Öffentlichkeit gesperrt – wie etwa der tiefste Punkt des U-Bahn-Netzes und eine Station, die 1906 aufgegeben wurde. Zu den neuesten Führungen zählt eine Besichtigung der historischen Churchill Station in Mayfair, in der Großbritanniens legendärer Premierminister während des Zweiten Weltkrieges Schutz vor den Bombern aus Deutschland suchte.
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