Reise-Tagebuch: So war das Nepal-Beben vor 3 Jahren
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Der mächtige Dhaulagiri am Horizont überragt mit seinen 8.167 Metern das tiefste Tal der Erde, das Kali Gandaki in Nepal.
© Quelle: Nils Peuse
Auszug aus meinem Expeditionstagebuch, 25.4.2015
„Plötzlich schwimmt die Erde. Ich stehe auf Wackelpudding, nur mit Mühe kann ich mich auf den Beinen halten. Ausgleichsschritte nach rechts und links, es wirft mich fast um. Überall um mich herum rumpelt es, mein Herz überschlägt sich. Von den umgebenden Hängen am Everest Base Camp in Tibet rasen Steinlawinen ins Tal.
Mein erster Gedanke: Der Gletschersee oberhalb wird ausbrechen und mich wegfegen. Ich schaue zur Talflanke links von mir. Zu weit, um in vermeintliche Sicherheit zu rennen, außerdem donnern dort im Sekundentakt riesige Felsblöcke hinab.
Also stehen bleiben, das Gleichgewicht halten und hoffen, dass der Moränendamm nicht bricht. Ich fühle mich wie ein Beobachter von außen. Jeder Gedanke ist greifbar, alle Sinne sind geschärft. Wird hier gleich die Hölle erst richtig losbrechen?
Mir passiert nichts. Glaube ich jedenfalls, denn um mich herum rumpelt es noch immer. Die Flanken stauben, Vögel fliegen über meinen Kopf hinweg, und das Adrenalin pumpt durch meinen Körper.
Langsam beruhigt sich der Boden, auf dem ich stehe. Durchatmen. Ich stehe wie angewurzelt vor meinem Zelt und begreife nur langsam, was hier gerade passiert ist. Ein Erdbeben der Stärke 7,8 auf der Richterskala, wird es später heißen. Was das für die Menschen in den Städten und Dörfern Nepals bedeutet, will ich mir in diesem Moment nicht ausmalen.
Als Kind dachte ich immer, es wäre sicher cool, irgendwann mal ein Erdbeben zu erleben. Heute weiß ich, dass es das nicht ist. Es ist einfach nur furchtbar angsteinflößend.“
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Erdbeben in Nepal: Ein schwerer Schlag für den Tourismus
Bis Mitte Juni 2015 bebt die Erde in Nepal regelmäßig. Nach und nach schreiben mir immer mehr meiner nepalesischen Freunde über Facebook: Sie wirken verzweifelt und bitten mich darum, meinen Freunden in Deutschland von Nepal zu erzählen, um sie zu einer Reise in ihr Land zu ermutigen.
Das Letzte, was der bettelarme Himalaya-Staat nun noch gebrauchen kann, sind weitere Negativschlagzeilen und das Ausbleiben von zahlungskräftigen Touristen, scheint mir. Wenige Tage später halte ich deshalb ein Flugticket nach Kathmandu in der Hand.
Während sich die Begeisterung meiner Familie so kurz nach dieser historischen Katastrophe in Grenzen hält, muss ich schnellstmöglich mit eigenen Augen sehen, wie es dem Land und seinen Menschen geht.
Verarbeitet habe ich die unwirklichen Erlebnisse nur wenige Wochen nach dem Beben ganz sicher noch nicht. Und so schleicht sich leise der Gedanke in meinen Kopf, was wohl passieren wird, sollte die Erde wieder beben.
Ein erneuter Blick in mein Expeditionstagebuch zerstreut schließlich alle verbliebenen Zweifel. Ich schulde meinem Lieblingsland diese Solidarität einfach. Also auf nach Nepal!
Das Beben hat die Menschen in Nepal verändert
Einige Wochen später in Kathmandu: Schon auf der kurzen Taxifahrt zum Hotel berichtet mir Ang Kami Sherpa, einer meiner nepalesischen Freunde, von zahlreichen Kunden, die sich aus Angst vor weiteren Beben in diesem Jahr kurzfristig für ein anderes Reiseziel entschieden haben.
Für ihn, der wie viele Menschen Nepals vom Tourismus lebt, ist dieser Umstand gleichbedeutend mit dem Kampf um die eigene Existenz. Bleiben die Touristen aus, ist eines der ärmsten Länder der Welt schlagartig noch ärmer – und mit ihm seine Bewohner.
Auch wenn sich in weiten Teilen der Stadt die auf den ersten Blick sichtbaren Zerstörungen in Grenzen halten, so merke ich doch, dass die typisch nepalesische „Don’t worry chicken curry“-Mentalität gelitten hat. Eine mir unvertraute Schwere scheint auf dem Land zu liegen, das eine vergleichbare Katastrophe zuletzt 1934 erleben musste.
Wer selbst mit dem Leben davonkam, kennt in den allermeisten Fällen jemanden, der weniger Glück hatte. Viele Menschen übernachten auch ein halbes Jahr nach dem Beben noch immer in Zelten im Freien. Teilweise aus Angst, teilweise aus purer Not. Manche haben alles verloren.
Und doch blitzt an jeder Ecke und in jedem Gespräch auf, was Nepal so einzigartig macht: Lebensfreude und weit verbreitete Zuversicht, dass irgendwie alles wieder gut werden wird. Überall wird mit altem und neuem Enthusiasmus gebaut, gelacht, gelebt.
Mir scheint, als könne selbst eine historische Katastrophe wie diese den Lebensmut der Menschen hier nicht dauerhaft trüben.
Drei Jahre später: Die Touristen kehren zurück
Tatsächlich hat sich der Tourismus im Land drei Jahre nach dem Beben in weiten Teilen anscheinend erholt. Ang Kami schreibt mir über Facebook, dass sein Geschäft wieder gut läuft und sogar mehr Menschen nach Nepal reisen als vor dem Beben. Nicht viel scheint von der Angst vor weiteren Katastrophen geblieben zu sein.
Auch in meinem Kopf nehmen die schönen Erinnerungen an meine Reisen nach Nepal bedeutend mehr Platz ein als die Bilder vom Erdbeben. Und da auch die schönsten Erinnerungen mit der Zeit verblassen, ist die nächste Trekkingtour bereits geplant: Im Oktober 2019 umrunde ich den Dhaulagiri.
Ein ganz entferntes mulmiges Gefühl bleibt.
Reisereporter