Taxifahren in Peking ist ein echtes Abenteuer
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Taxen vor dem Kaiserpalast am Tiananmen-Platz in Peking.
© Quelle: imago/Kai Bienert
Steck dir für die Rückfahrt die Visitenkarte deines Hotels ein und dann ab ins Taxi. Ganz gleich, welche Sehenswürdigkeit du ansteuerst – die größte und erstaunlichste bildet der Pekinger Verkehr selbst. Dein Chauffeur, auf den ersten Blick ein unscheinbarer Typ mit Lederjacke und kariertem Hemd, entpuppt sich als Großmeister seiner Kunst.
Wie alle chinesischen Autofahrer verfügt er über serienmäßigen Rundumblick und den untrüglichen Lückeninstinkt, der für Fußgänger, Rad- und Autofahrer gleichermaßen unerlässlich ist. Denn wenn eine Lücke sich öffnet, ist es bereits zu spät. Der Lücke zuvorzukommen, darin besteht die Kunst.
Ein Akrobat auf Rädern
Dein Fahrer lauscht gern Hörspielen und Geschichtenerzählern im Radio. Sie nehmen seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch; am Verkehr nimmt er eher unbewusst teil. Wozu hat er seinen Wagen? Einen Akrobaten auf Rädern!
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Was ist denn hier los?! Taxifahrer warten in Autoschlangen auf Kundschaft am Bahnhof in Peking.
© Quelle: imago/Xinhua
Anders ist es nicht zu erklären, dass er der Zangenbewegung der heranbrausenden Konkurrenz ein ums andere Mal entwischt, dass er andere Fahrzeuge niemals rammt, auch wenn diese ihm noch so brüsk den Weg abschneiden, dass er sich sagenhaft dünn zu machen versteht, um seine Kontrahenten in unmöglichen Winkeln zu umkurven, und sich im nächsten Moment sagenhaft breit macht, um von möglichst wenig anderen selbst umkurvt zu werden.
So kommst du ganz gut voran. Zumindest bis zur nächsten Kreuzung. Dort verkeilen sich alle, als spielten sie Rugby. Aber es dauert keine zehn Minuten – zehn kurzweilige Minuten, in denen du deinerseits den Geschichten im Radio lauschen oder die Taxifahrerzeitschrift durchblättern, die wie im Flugzeug in einem Futteral hinter dem Beifahrersitz steckt –, dann spuckt dieser Mahlstrom dein Taxi wieder aus.
Das Marmeladenglas in der Jackentasche
Im Winter kann es vorkommen, dass dich ein hochfrequentes Sirren im Wagen irritiert. Sprich den Fahrer ruhig darauf an. Doch erschrick nicht, wenn er dann ein Marmeladenglas aus der Anoraktasche zieht, aus dem dich eine fette Grille anstarrt.
Ein Vieh, so groß wie ein Spatz, mit Fühlern lang wie Angelruten. Auf Chinesisch heißt sie Qu-Qur. Sie zirpt so durchdringend, als wolle sie sich bis in die Gobi hinein Gehör verschaffen. Sie hat etwa 100 Tage zu leben, und die möchte sie nicht stumm verplempern. Jeden Morgen füttert ihr Besitzer sie mit Lammfleisch und Karotten.
Bei dem nun folgenden Fachgespräch über die Grillen von Grillenhaltern verblüfft er dich durch seine musikalische Allgemeinbildung. Am schönsten sei der Mezzosopran, schwärmt er, schon durchaus hoch, aber eben nicht zu hoch, lediglich hell und mit sattem Timbre. Bei jedem Flügelreiben müssten die Obertöne hörbar werden.
Im Winter sei es seinen Schützlingen in der Wohnung zu kalt, dann nehme er sie reihum mit auf Tour. Mit verschwörerischer Mine vertraut er dir dann noch an, dass Grillen der Zeitvertreib der Pekinger Aristokratie gewesen seien. Womit er zugleich eine eigene Abstammung aus diesen Kreisen suggeriert.
Die Sehenswürdigkeiten vergisst du schnell
Weiter geht deine Fahrt zu den klassischen Attraktionen, zum Kaiserpalast und zum Himmelsaltar, zu den wuchtigen Stadttoren und den wimmelnden Einkaufsmeilen, in die rauchgeschwängerten Tempel und die rauchfreien olympischen Stätten. Doch woran du dich am Ende noch nach Jahren erinnern wirst, ist diese kolossale Beifahrerin, wie sie zirpt und zirpt und zirpt.
Reisereporter