Zug oder Flug: Wie sicher sind Reisen in der Corona-Krise?
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Im Forschungsflugzeug wird Messtechnik und Kabinenklima gecheckt. Das Ziel: Die Ausbreitung des Coronavirus erforschen.
© Quelle: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Die weltweite Reisewarnung des Auswärtigen Amtes gehört– zumindest partiell – der Vergangenheit an. Für die Touristik heißt das: Nach mehreren Monaten des Stillstands geht es immer mehr Richtung Normalität. Der Flugbetrieb kommt in Fahrt, Hotels und Ferienhäuser empfangen die langersehnten Gäste mit offenen Armen. Der Tourismus soll den wirtschaftlichen Schaden, den die Corona-Krise brachte, mindern.
Hälfte der Deutschen will auf Reisen verzichten
Der Haken: Schutzmaßnahmen wie Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren und Grenzschließungen hinterließen bei vielen potenziellen Urlaubern Spuren. Nach Angaben des Fluggastrechte-Portals „Flug verspätet“ setzten 41 Prozent aller Reisenden im letzten Jahr auf Flugzeuge als Transportmittel. Dieser Anteil sinke 2020 voraussichtlich stark.
Schuld daran sei zum einen die Tatsache, dass der Flugbetrieb selbst Anfang Juli noch eingeschränkt ablief. Zum anderen fürchten sich viele Touristen, sich unterwegs mit dem Coronavirus zu infizieren.
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Wie berechtigt die Furcht vor einer Ansteckung in Massenverkehrsmitteln ist, untersuchen derzeit Forscher am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Göttingen. Sie beschäftigen sich mit der Ausbreitung virusbeladener Tröpfchen in Zügen und Flugzeugen. Das Ziel: Ansätze für möglichst sichere Reisen bieten.
Wissenschaftler untersuchen Husten von Corona-Infizierten
Die Ausbreitung der Tröpfchen untersuchen die Wissenschaftler sowohl im Rahmen einer Computer-Simulation als auch in Form eines Experiments.
Die Nachbildung am Rechner zeigt den Abschnitt eines Zuges mit sechs Sitzreihen. Darin sitzt eine kranke Person, deren Atem und Husten die Forscher mithilfe eines Programms berechnen, das sie zuvor bereits für die Simulation der Kabinenluftströmung nutzten. Hinzu kommen Aerosolpartikel, also kleine Mikropartikel, die überall in der Luft vorkommen, und Kriterien wie das ausgeatmete Lungenvolumen und die Größe der Tröpfchen.
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24 Dummys mit Sensoren dienen in dem Experiment der Forscher als Passagiere.
© Quelle: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Anschließend errechnet das Programm die Verteilung und Reichweite der Tröpfchen, wodurch eine entsprechende Grafik entsteht.
Zeitgleich stellen die Wissenschaftler eine ähnliche Situation in sogenannten Mock-ups, also täuschend echt nachgebauten Innenräumen von Eisenbahnen und Flugzeugen, nach. Hierbei dienen 24 Dummys, die über menschenähnliche Körperfunktionen verfügen, als Passagiere.
Sie alle atmen Öltröpfchen aus. Allerdings gilt eine der Puppen als Corona-Infizierter und stößt deshalb zusätzlich ein Spurengas aus. Highspeed-Kameras und Gassensoren verfolgen die Verbreitung der Teilchen in der Kabine.
Daraufhin erfasst die Technik Partikel und deren Konzentration an verschiedenen Stellen im Raum.
Urlaub trotz Corona: Sind Flugzeuge vergleichsweise sicher?
Mit ersten Ergebnissen der Forschung rechnen die Wissenschaftler zwar erst in den kommenden Wochen. Allerdings ziehen sie schon jetzt Erkenntnisse aus ihrer Arbeit. „Klar ist, dass es große Unterschiede zwischen Flugzeugen und Eisenbahnen gibt“, sagte Andreas Dillmann, Leiter des Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik der Organisation, gegenüber der Helmholtz-Gemeinschaft in Berlin.
So bezeichnen Experten Flugzeugkabinen oft als geschlossene Geflechte: Die Lüftungssysteme saugen die Luft ab, woraufhin sie durch hochfeine Filter rutscht und sich mit ebenfalls gefilterter Luft von außen vermischt. Dann enthält sie keine Viren mehr.
„Die Wahrscheinlichkeit, sich durch feine Aerosoltropfen zu infizieren, die sich durch den Kabinenraum bewegen, erscheint daher gering“, heißt es hierzu seitens der Helmholtz-Gemeinschaft. Vielmehr sei die entscheidende Frage, ob die Systeme die Viren rechtzeitig herausfiltern können.
Fliegen trotz Corona: Experten sind sich uneinig
Doch die Experten auf diesem Gebiet sind sich nicht einig. So hat sich beispielsweise Dieter Scholz, Professor für Flugzeugsysteme an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg, gegenüber dem Blog „lilos-reisen.de“ kritisch geäußert. „Ich behaupte, es besteht eine reale Gefahr, sich im Flugzeug mit dem Coronavirus zu infizieren“, sagte er. „Alltagsmasken und Händewaschen reichen nicht zum Schutz aus.“
So liege etwa die Wahrscheinlichkeit, sich bei einem Flug mit 200 Sitzen und fünf Stunden Reisedauer anzustecken, bei 1 zu 1000. Das wiederum entspreche vier Richtigen im Lotto – und sei damit nicht unwahrscheinlich.
Einige Virologen raten „Flug verspätet“ zufolge deshalb zu kurzen Flügen. Das liege daran, dass die Mund-Nasen-Bedeckungen durch den Atem auf lange Zeit durchfeuchten. Dadurch seien sie weniger imstande dazu, Viren zuverlässig zu filtern.
Weil sich die Ansichten der Experten unterscheiden, rät Scholz dem Bericht nach: „Vertrauen Sie keinem, der Ihnen sagt, etwas wäre sicher oder unsicher – auch mir nicht. Wägen Sie selbst ab. Am Ende müssen Sie auch die Konsequenzen Ihres Handelns tragen.“
Reisen trotz Corona-Krise: Lüftungssysteme in Bahn und Zug
In Bahnen und Zügen wiederum funktionieren die Lüftungssysteme anders. Die Klimaanlagen nutzen nicht die Innenluft, sondern die Außenluft.
Die Aufgabe, die sich daraus für die DLR-Forscher ergibt, bleibt allerdings dieselbe: Sie arbeiten an Möglichkeiten, die Luftführung zu verbessern, um die Gefahr für Reisende zu minimieren – „und das, ohne die Waggons oder Flugzeugkabinen komplett auf den Kopf zu stellen“, sagte Dillmann. Denn für größere Umbauten sei nun, wo die Urlaubssaison läuft, keine Zeit mehr.
Reisereporter