Warum das Pilgern auf dem Olavsweg so besonders ist
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Auf dem Dovrefjell haben Pilger einen besonders weiten Blick.
© Quelle: David Tett/Visit Norway
Sobald wir die ersten Schritte auf dem St. Olavsweg gehen, öffnen sich die himmlischen Pforten – und segnen uns gleich am ersten Tag mit einem Regenschauer. Nein, ein zweiter Jakobsweg ist das hier nicht. Dafür sorgt das norwegische Klima. 2017 sind rund 1.100 Menschen den gesamten Weg von Oslo nach Trondheim gepilgert, knapp 1.500 weitere eine kürzere Strecke. Die Tendenz steigt. Verglichen mit dem Jakobsweg, der jährlich mehr als 300.000 Pilger zählt, ist der St. Olavsweg aber noch spärlich bewandert.
St. Olavsweg besteht aus acht Pfaden
Doch er muss sich nicht hinter dem südeuropäischen Pilgerweg verstecken. Der St. Olavsweg besteht insgesamt aus acht Pfaden, die an verschiedenen Orten in Norwegen oder Schweden beginnen und am Nidarosdom in Trondheim enden. Der Gudbrandsdalen-Pfad ist mit 643 Kilometern der längste. Auf ihm sind schon 1032 die ersten Pilger von Oslo nach Trondheim gegangen.
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Der Nidarosdom in Trondheim ist Endpunkt des St. Olavsweges.
© Quelle: Henning Grøtt/Visit Norway
Benannt ist der St. Olavsweg nach dem heiligen Olav, der zu Lebzeiten Olav II. Haraldsson hieß und von 1015 bis 1028 norwegischer König war. Schon kurz nach seinem Tod wurde er als Märtyrer gefeiert und zum Heiligen erklärt. Seitdem pilgern Gläubige zu seinem Schrein im Nidarosdom im heutigen Trondheim.
Ein Stück Geschichte ist nie weit. Es sind scheinbar immer nur wenige Schritte bis zu dem nächsten Wikingergrab, zu einem historischen Hof oder zu der nächsten Kirche. Gleichzeitig ist man vollkommen im Jetzt bei sich, seinen Gedanken und schmerzenden Beinen.
Wer die kompletten 643 Kilometer von Oslo nach Trondheim gehen will, braucht etwa 32 Tage. Sich so viel Zeit zu nehmen, um eine Strecke Schritt für Schritt zurückzulegen, und dann auch noch mit einem religiösen Hintergrund – passt das überhaupt in unsere Zeit? „Früher ging es beim Pilgern um das Ziel, einen heiligen Ort“, antwortet mir Tone Stræte, Leiterin des Pilgerzentrums in Hamar, mit der wir nach Nidaros wandern. „Heute geht es eher darum, was das Pilgern mit dir macht, was du beim Gehen über dich erfährst und vielleicht auch über Gott.“
Viele Pilger sehnen sich nach Entschleunigung
Der Glaube ist aber längst nicht der einzige Grund, warum Menschen durch Norwegen pilgern. Einige erholen sich dabei von einer schweren Zeit, andere sehnen sich nach Entschleunigung in der Natur. Die meisten Pilger kommen aus Deutschland und Norwegen. Dass immer häufiger auch Pilger aus weiter entfernten Ländern kommen, liegt auch am Jakobsweg.
Kurz vor Trondheim treffen wir Lizzy Sloan aus Melbourne. Mit ihrem Freund ist sie auf Europareise. Den kompletten Jakobsweg sind sie schon gemeinsam gelaufen, ihr Freund ist gläubig und „das war eine gute Gelegenheit, ihn zum Wandern zu überreden“, sagt sie lachend. Auf dem Jakobsweg hat sie vom St. Olavsweg erfahren – wie viele, die jetzt nach Trondheim pilgern.
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Lizzy Sloan pilgert sieben Tage lang die letzte Etappe des Pfades.
© Quelle: Leonie Greife
Egal, was einen auf den St. Olavsweg führt, Tone Stræte hat recht: Wir erfahren und lernen dabei einiges. Am ersten Abend vor allem, wie gut eine warme Dusche tut. Wie unvergleichlich rein die norwegische Luft in unsere Lungen strömt. Und wie freundlich wirklich jeder ist, dem wir begegnen.
Mitarbeiter von Pilgerzentren sind gute Seelen
Die Norwegerin erzählt von ihrer Arbeit im Pilgerzentrum in Hamar. Erst vor wenigen Tagen sei die Besitzerin einer Herberge einem Pilger nachgefahren, der am Tag zuvor vollkommen durchgefroren bei ihr angekommen sei: Die Herbergsmutter habe ihm einen Pullover gekauft. Die Mitarbeiter der Pilgerzentren sind für die Pilger gute Geister am Wegesrand. Sie helfen dabei, überflüssiges Gepäck nach Hause zu schicken, neue Schuhe aufzutreiben oder den richtigen Weg zu finden.
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Wegweiser mit dem Pilgersymbol sorgen unterwegs für Orientierung.
© Quelle: Leonie Greife
Pilger sind überall willkommen
Auch sonst erleben wir beim Pilgern eine besondere Freundlichkeit und Energie. Unter den Pilgern ebenso wie bei den Einheimischen entlang der Strecke. „Viele Norweger haben auf ihren Grundstücken entlang des Pfades sogar Bänke für die Pilger“, erzählt Stræte. „Manche legen Äpfel aus dem Garten darauf als Stärkung, eine Frau stellt regelmäßig Thermoskannen Kaffee und Kekse bereit.“ Wir gehen zwar nur kurze Etappen der 643 Kilometer nach Trondheim. Doch die reichen, um zu spüren, dass es genau solche Begegnungen sind, die die Pilger jeden Morgen wieder ihre Wanderstiefel schnüren lassen.
Hof Sygard Grytting ist seit 16 Generationen in Familienbesitz
Seit mehr als 700 Jahren wandern Pilger über die Wege, die wir heute laufen. Genauso lange ist es her, dass die ersten Pilger auf dem Hof von Stig und Hilde Grytting im Gudbrandstal übernachteten. Die Hausherren gab es damals natürlich noch nicht, die einfachste der Pilgerunterkünfte auf dem Hof Sygard Grytting, der seit 16 Generationen im Familienbesitz ist, schon. Heute schläft man dort wieder so wie damals: Ohne Heizung in kleinen Holzbetten, mit Schafsfellen zugedeckt, in einer alten Blockhütte.
Es geht aber auch komfortabler, denn Stig und Hilde Grytting haben auf dem Bauernhof, auf dem noch immer auch Landwirtschaft betrieben wird, zusätzlich ein Hotel eingerichtet. Wie die Blockhütte der Gryttings befinden sich viele der Pilgerunterkünfte auf Höfen entlang der Pfade.
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Stig Grytting sorgt mit seiner Frau Hilde dafür, dass sich müde Pilger auf seinem Hof wie zu Hause fühlen.
© Quelle: Leonie Greife
Bei Familie Grytting können wir uns sogar einen Stempel für unseren Pilgerpass abholen. Früher hatte dieser einen wichtigen Zweck: Dadurch konnten die Pilger nachweisen, dass sie gute Absichten hatten und nicht etwa Wegelagerer oder Räuber waren. Heute sind sie vor allem ein beliebtes Souvenir. Die Stempel sammeln Pilger in Pilgerzentren, in einigen Unterkünften und in den Kirchen.
Stabkirche in Ringebu ist ein Höhepunkt an der Strecke
Eine der schönsten Kirchen entlang der Strecke von Oslo nach Trondheim ist die rund 800 Jahre alte Stabkirche in Ringebu. Das hölzerne Bauwerk ist eine von nur noch 28 erhaltenen Stabkirchen in ganz Norwegen und die einzige an der Strecke. Kaum einer kennt sie so gut wie Einar Holster, der uns durch die Kirche führt. Er wurde in der Ringebu Stavkirke getauft, konfirmiert, verheiratet. „Und eines Tages werde ich hier begraben“, sagt er.
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Die Stabkirche zu Ringebu gehört zu den schönsten Bauwerken entlang des St. Olavsweges in Norwegen.
© Quelle: Ardea/imago images
Noch viel mehr werden beim Pilgern aber die gemeinsamen Pausen zelebriert. „Manche sammeln Stempel, andere Kaffeepausen“, sagt Mattias Jansson, der beim nationalen Pilgerzentrum in Trondheim arbeitet und unser Reiseleiter ist. „Wir sammeln beides“, sagt er lachend.
Vielerorts wachsen Beeren und Pilze
Für den kleinen Hunger zwischendurch sammeln wir jede Menge Beeren: Je nach Jahreszeit wachsen verschiedene Sorten am Wegesrand. Wir freuen uns wie kleine Kinder, als wir die ersten entdecken, und sorgen immer wieder für Verzögerungen, weil wir begeistert wilde Blaubeeren, Himbeeren, Johannisbeeren und Preiselbeeren pflücken. Perlpilze, Birkenpilze oder Täublinge können beim Abendessen nach der Tagesstrecke getrost in der Pfanne landen.
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Klein, rund, und die perfekte Vitaminbombe: Wilde Blaubeeren wachsen am Wegesrand.
© Quelle: Leonie Greife
Auf dem Dovrefjell packen wir unsere Handschuhe aus und verlegen unsere Kaffeepause in eine windgeschützte Kuhle. Während die Temperaturen in den vergangenen Sommern auch schon mal mit dem spanischen Jakobsweg-Klima mithalten konnten, ist das Wetter im Frühling und Herbst in Norwegen oft unbeständig und frisch. Noch knapp 230 Kilometer misst die restliche Strecke von hier nach Trondheim.
Auf dem Dovrefjell leben Moschusochsen
Moos, Sträucher und Flechten stempeln grüne Flecken auf die sanften Bergwellen. Dazwischen stehen blökende Schafe. Mit Glück erspäht man sogar einen Moschusochsen. Mit der letzten Eiszeit sind die Tiere in Norwegen – wie auch im Rest von Europa – eigentlich ausgestorben. Auf dem Dovrefjell gibt es trotzdem wieder rund 300 von den Ochsen, weil sie in den Dreißiger- und Fünfzigerjahren aus Grönland eingeführt wurden.
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Gut versteckt im Gestrüpp auf dem Dovre Fjell weiden Schafe. Noch besser verstecken sich die Moschusochsen.
© Quelle: Leonie Greife
Das Ziel ist fast zu schnell erreicht
Trotz des geringen Tempos kommen wir viel zu schnell in Trondheim an. Am letzten Tag unserer Reise scheint zum ersten Mal die Sonne. Wie ein himmlischer Scheinwerfer bestrahlt sie den Fjord, die Stadt und die Spitzen des Doms. Staunend genießen wir diesen Anblick auf dem sogenannten Hügel der Freude.
Der heißt so, weil von dort aus die Pilger das erste Mal ihr Ziel erblicken. Nach Wochen voller Blasen, Wadenkrämpfe und Mückenstiche soll dieser Anblick wohl unbändiges Glück hervorrufen. Ich bin dagegen fast ein bisschen traurig. Ich wäre gern noch weitergewandert und verstehe jetzt erst so richtig, was Tone Stræte mir am ersten Tag sagen wollte: Der Weg ist wichtiger als das Ziel.
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Blick auf Trondheim und den Nidarosdom vom „Hügel der Freude“.
© Quelle: Leonie Greife
Tipps für deine Reise nach Norwegen
Beste Reisezeit: Die Hochsaison für Pilgerwanderungen in Norwegen ist von Juni bis August. Wer außerhalb der Saison wandern möchte, sollte sich im Voraus bei den Unterkünften und Pilgerzentren über die Öffnungszeiten sowie über die Wetterverhältnisse auf dem Pilgerweg informieren.
Tipps: Während der Pilgerreise geht man nicht selten etwa 20 Kilometer pro Tag mehrere Tage in Folge. Zur Vorbereitung empfiehlt es sich, rechtzeitig Wanderungen in der Umgebung zu unternehmen. Auch Teilstrecken, die eine oder zwei Wochen in Anspruch nehmen, sind möglich. Entlang des Gudbrandsdalen-Pfades liegen mehrere Bahnhöfe, an denen man leicht in die Pilgerreise starten kann.
Die Reise wurde unterstützt von Visit Norway. Über Auswahl und Ausrichtung der Inhalte entscheidet allein die Redaktion.
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