Im Surfcamp: Alle hatten Spaß, ich giftige Fische
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Isabell steht zum ersten Mal auf dem Surfbrett und reitet über die Wellen.
© Quelle: Isabell Prophet
Alle lächeln immer die ganze Zeit, ständig. Es hört nicht auf. Alle haben gute Laune, jede Menge Energie, Bock, rauszugehen. Selbst die Anfänger! Was zur Hölle... Aber der Reihe nach. Hallo! Mein Name ist Isabell und ich bin zum ersten Mal in einem Surfcamp. Nein, ich war vorher noch nie surfen. Ja, ich liebe arabisches Essen. Ja, es ist wirklich richtig toll hier.
Tag 1: Work sucks, go surfing
Ich bin in Marokko um Surfen zu lernen, genauer gesagt: in Taghazout, etwas nördlich von Agadir. Hier gibt es: Viel Sand, wenige Pflanzen, Cafés, so unscheinbar wie großartig, Avocado-Shakes, eine ganze Reihe Surfhäuser und ein paar Kioske, die werden noch wichtig. Mein Surfhostel ist bekannt für seine gute Küche und dass alle Gäste immer wiederkommen. Der Leitspruch: Work sucks, go surfing.
Ich bin allein angereist und habe mir ein Einzelzimmer geleistet – wie die meisten Frauen hier, das erleichtert mich spontan. Wir teilen uns Wohnungen: im Wohnzimmer die Männer zu zweit, wir Frauen in den Schlafzimmern. Unser Appartement hat eine Küche und einen kleinen Balkon, auf dem Bikinis und Badehosen vor sich hin tropfen. Praktisch.
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Tag 2: Zum Meer, zum Meer!
Oh, ich bin aufgeregt. Heute geht es ans Meer, aufs Board, aufs Surf-Board. Oha. Die Surfguides stecken mich in einen Neoprenanzug. Er fühlt sich zu groß an und unfassbar warm. In Jeeps fahren wir zum Strand runter. Surfen ist allerdings etwas, das man erst einmal auf dem Trockenen lernt. Und ich lerne: Nicht! Den Anzug! Vor! Dem Surfen! Anziehen! Verdammt, ist das heiß!
Während die letzten Nebelschwaden noch über den Strand ziehen, joggen wir und ich bin sehr dankbar für mein Bikini-Top, das wie ein Sport-BH sitzt. Tri-Angel-Trägerchen unter dem Neo sehen zwar cool aus, dürften bei Oberweiten über 50 Gramm aber verdammt schmerzhaft schwanken.
Wichtig, wichtig: die Aufwärm-Übungen. Surfen birgt einfach eine gewisse Verletzungsgefahr, gerade im kalten Atlantik. Dann besteigen wir die Boards – auf dem heißen Sand. Hinlegen, Arme aufstützen, springen, stehen, nochmal. Es bietet sich an, das vorher ein bisschen zu trainieren.
Tag 3: Paddle, Paddle, Paddle!
Ja, mei, ich hab’s ja verstanden. Surfen geht ja ungefähr so: Das Board mit einer Leine am Fußgelenk befestigen, Board ins Wasser, Isa hinterher, das Board ins Wasser ziehen, wenn das Wasser zu tief wird: drauflegen, rauspaddeln. Rausschwimmen ist etwas, das halbwegs routinierte Schwimmer tatsächlich hinkriegen können, bei dem einem aber jeder erzählt, dass es quasi unmöglich wäre. Viel schwieriger ist es, die „Whitewave“ zu treffen, also eine Welle, die schon gebrochen ist, weiß auf den Strand rauscht und deshalb gutes Anfänger-Terrain ist.
Das geht für Anfänger so: zum Strand drehen, dann schreit der Instructor „Paddle! Paddle! Paddle!“, und weil ich dann immer noch zu langsam bin gibt’s einen kleinen Schubs, aufstehen, stehenbleiben. Stehenbleiben ist echt nicht so einfach. Vor allem wenn man wie ich den Gleichgewichtssinn einer Topfpflanze hat. Ich sehe wirklich wahnsinnig viel Wasser von unten.
Unser Surfhaus hat eine Dachterrasse, auf der wir morgens und abends Yoga machen. Also die Anderen. Ich nur abends und selbst das ist verdammt hart. Ich schwöre, ich habe mehr Muskelkater von den herabschauenden Hunden als vom „Paddle! Paddle! Paddle!“...
Tag 4: „It’s like having a baby.“
Diesen Satz werde ich niemals vergessen. Maria, eine Schwedin, sagt ihn, während sie mich mit drei anderen in den Sand drückt. Heißes Wasser fließt über meinen Fuß. Irgendjemand hält meine Hand, irgendjemand wischt mir die Tränen aus dem Gesicht. Und ich? Ich schreie. Dabei ist der andere viel schlimmer verletzt.
Etwa eine halbe Stunde zuvor bin ich auf eine kleine Scherbe getreten. Ich bemerke meinen Fehler sofort und klug wie ich bin, tu ich das einzig Richtige: Ich bleibe direkt im Wasser. Salzwasser desinfiziert doch, oder? Wer will schon eine offene Wunde in die marokkanische Hitze halten. Dann lieber im eisigen Atlantik die Blutung stillen.
Todesmutig stürze ich mich wieder in die Weißen Wellen und finde mich verdammt cool. Dann stürzt einer meiner Mitreisenden. Er stürzt heftig, verdreht sich das Knie, humpelt aus dem Wasser, wird schließlich getragen. Ich nehme das mal als Stichwort, auch aus dem Wasser zu gehen. Ich komme auch nicht besonders weit. Der Schmerz in meinem Fuß wird unerträglich.
Von wegen Scherbe. Der Atlantik hier ist voll mit Petermännchen und Petermännchen sind so richtige kleine Arschlöcher. Sie tragen einen Dorn auf dem Rücken und der ist natürlich giftig. Super.
Ja, na klar, wo eins ist, da sind ja auch noch andere. Kein Mensch tritt in diesen Wochen auf ein Petermännchen, aber ich trete natürlich noch auf ein zweites.
Immerhin habe ich gestern noch eine kleine Biologie-Stunde bekommen: Petermännchen-Gift ist Eiweiß, und das muss man denaturieren. Das funktioniert genau wie pochierte Eier – einfach heißes Wasser drauf. Spitzenidee meinerseits also, einfach im Wasser zu bleiben, damit der Fuß schön kalt ist. Immerhin: Meine schnelle Reaktion hilft mir beim zweiten Versuch, ich lasse mir heißes Wasser besorgen und tunke den Fuß hinein. Von diesem Stich merke ich wenige Tage nichts mehr, der Schmerz des ersten Tages begleitet mich noch für Wochen. Lieber Atlantik, du kannst mich.
Heute ist der Tag, an dem mir das Lächeln zu anstrengend wird. Nach dem Abendessen verschwinde ich schnell auf die Dachterrasse, wickle mich in eine Decke. Debatte in mir: Alle haben hier Spaß, und du trampelst auf irgendwelchen Fischen rum und überanstrengst dich beim Yoga. Loser. Du bist nicht hart genug. Du bist nicht lustig genug. Du bist nicht sozial genug. Wenn ich heute noch einmal lächeln muss ziehe ich los, und mache den Rest von Familie Petermännchen auch noch platt.
Tag 6: Wind in den Wellen
Ein kühler Sturm peitscht das Wasser aufs Land. Wo für die Profis das Surfwetter erst anfängt, bleiben die meisten Anfänger besser auf dem Trockenen. Tatsächlich ist das genau das Wetter, bei dem ich das Meer liebe – jedenfalls zum Schwimmen, und das lassen wir uns nicht nehmen. Gemeinsam mit einer richtigen Kanalschwimmerin (ihr wisst schon, dieser Kanal zwischen Großbritannien und dem europäischen Festland) stürze ich mich in die Fluten.
Stürzen ist das richtige Wort. Waschmaschine nennen die Green-Wave-Surfer den Moment, wenn die Welle unter dir bricht und dich in sich hineinzieht. Ist ein ziemlich nasser Moment. Mich zieht sie beim Schwimmen mit viel Kraft und dem Rücken voran auf den Grund. Aua. Was fehlt jetzt noch?
Tag 7: Das Board von unten
Genau das fehlt noch. Zu meiner Verteidigung: Ich bin echt nicht die Einzige, die von unten mit dem Kopf ans Board knallt. Nur dass es mein eigenes ist, das ist eher ungewöhnlich. Es geschieht im Eifer des Gefechts.
Mein Instructor will wirklich un-be-dingt, dass ich ganz viel Spaß habe. Während ich also die Welle erwischen will, bremst er mich – ich soll eine andere nehmen. Das Board steht, ich nicht. Ich fliege vorn drüber weg, er lässt los und autsch, das war mein Kopf. Vielleicht ist surfen auch leichter, wenn man nicht ständig Spaß haben muss.
Ich lächle und bedanke mich. Er hat es ja nur gut gemeint und wäre ich nicht so furchtbar schlecht, dann wäre das ja auch nicht passiert. Oder so. Ich erzähle niemandem davon.
Tag 8: Sozialstudie
Die Menschen hier sind fast ausnahmslos total interessant. Hurra: Ich bin nicht die Älteste! Ich bin auch nicht die Jüngste. Hier sind ein paar Studenten, die meisten stehen am Anfang ihres Berufslebens, einige sind in ihren 40ern. Einige sind Anfänger, andere surfen seit Jahren, bringen ihre eigenen Boards mit und möglicherweise bewundern wir sie alle wahnsinnig.
Zwischenzeitlich sind ziemlich viele Deutsche da und sie formen einen Block, in dem sie mich auch saugen wollen. Die Gespräche sind, nun ja, sehr schnell sehr privat. Enthaarungsmethoden und so. Doch die meisten Menschen sind einfach wahnsinnig normal. Drei Italiener betreiben eine Wasserski-Schule und wollen hier etwas Neues lernen. Zwei Paare aus Litauen – getrennt angereist, haben noch nie andere Litauer auf Reisen getroffen – sind dabei, Menschen aus Russland, England, Australien, Holland, Schottland, den USA, Kanada, Schweden.
Ich treffe einen Programmierer, der seinen Job aufgegeben hat und nun um die Welt reist, eine Hosen-Verkäuferin, eine Frau mit eigenem Mode-Unternehmen, einen, der am Telefon Kunden berät, eine Tänzerin, eine Werberin, eine, die auf einer Bohrinsel arbeitet. Man findet sofort Anschluss, denn jeder sucht ihn. Eine echte Clique formen tatsächlich nur die Deutschen.
Tag 9: Oh mein Gott wie traurig
Bald geht es nach Hause. Ich freue mich, ganz ehrlich, auf mein Bett. Nichts gegen die Betten hier, aber fast alle schlafen furchtbar. Nachts ist es wirklich absurd kalt im sonst so heißen Marokko, unsere überhitzten Körper finden keine Ruhe. Zum Frühstück gibt es Avocados, Butter und Brot, gelegentlich einen vollen Salat und regelmäßig neue Gesichter. Man empfängt sie mit offenen Armen, doch irgendwann ist das auch vorbei.
Während die eigene Abreise näher rückt, schwindet das Interesse an den neuen Leuten. Ja, sie finden es auch schön hier, oh Mann, das Essen ist wirklich großartig, ja, dass alle immer wieder kommen haben sie auch schön gehört. Wir „Alten“, seit einer Woche hier, einige seit Monaten, schwören uns ewige Freundschaft und heute, zwei Jahre später kann ich sagen: Das werden wir wohl auch so halten, zumindest einige.
Tag 10: Natürlich komme ich wieder...
...habe ich gesagt. Weil alle das sagen. Und weil mich die Stimmung wirklich mitgetragen hat. Auf dem Weg zum Flughafen werde ich wehmütig. Ganz ehrlich: Ich komme nicht wieder. Es war eine Erfahrung und möglicherweise möchte ich noch einmal in ein Yoga-Camp oder klettern oder tauchen und auf jeden Fall immer wieder nach Marokko. Aber surfen – in dieser Konstellation – ist nichts für mich. Es war eine gute Erfahrung und ich habe tolle Menschen kennengelernt und hey – ich kann auf einem Surfbrett stehen! Aber mein Körper hat nicht die Ressourcen für zehn Tage gute Laune am Stück.
Zwei Jahre später...
...treffe ich alte Bekannte aus dem Surfhaus in Berlin wieder. Fast alle sind wieder hingefahren, fast alle erkannten: Auch im beschaulichen Taghazout geht das Leben weiter. Vielleicht ist ein Ort, der mit so vielen Emotionen verbunden ist, nicht für eine Rückkehr geeignet. Er verändert sich, weil sich die Menschen verändern. Ich sage nicht, dass es falsch ist, zurückzukehren. Es ist nur nicht für jeden richtig.
Und das Surfcamp? Ich würde sagen: ausprobieren! Und wirklich: Fahrt allein hin, ihr gewinnt Freunde fürs Leben.
Reisereporter