Kuba: Zurück in die Zukunft
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Kuba ist voll mit solch stilvollen Oldtimern.
© Quelle: imago/McPHOTO
Jeden Nachmittag verlässt Luis pünktlich um fünf das Haus und quetscht sich an der nächsten Haltestelle in einen der „Camellos“.... Also in einen dieser prall gefüllten, vom Rost fast zerfressenen Großbusse, die von schweren Zugmaschinen gezogen werden und mit ihren zwei Höckern tatsächlich an Kamele erinnern. Manche von ihnen allerdings auch einfach nur an einen rollenden Schrotthaufen.
Wie auch immer. Aus allen Ecken der Stadt schnaufen und tuckern die Camellos zwischen halbzerfallenen Häuserreihen aus unzähligen Kreuzungen auf den Malecón zu und spucken an der Uferpromenade Hunderte von Habaneros aus.
Kuba aus der Zeit gefallen
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Auch Luis ist dabei. Es ist so gegen sechs, als Luis sich auf die Kaimauer setzt, seine Trompete rausholt und an die Lippen setzt. Da draußen rollt das Meer auf Kuba zu und spritzt seine Gischt meterweit an den Wänden hoch. Da draußen geht die Sonne glutrot unter.
Da draußen liegt Florida, da leben die Americanos, die seit der Annäherung zwischen US-Präsident Barack Obama und Kubas Staatschef Raúl Castro 2016 wieder ein Stück näher gerückt scheinen. Luis richtet seine Trompete auf Florida. „Das Meer trägt den Klang in die Welt“, sagt er.
Eine ganze Insel voller Rhythmus
Viele Männer haben in den letzten Jahren den Sound Kubas in die Welt getragen. Salsa, Nueva Trova und Son bilden wohl die populärsten Formen kubanischer Musik. Und nicht zuletzt Wim Wenders Buena Vista Social Club sorgten für eine weltweite Renaissance der kubanischen Musik. Kuba – das ist einfach eine ganze Insel voller Rhythmus, Gefühl und Nostalgie. Das Meer und die Salsa bestimmen den Lebensrhythmus.
Das Meer. Wenn es nicht gerade wild aufbraust, dann liegt es da wie ein Smaragd. Opium für die Seele. Weich wie Samt, den Körper wie Seide umschmeichelnd. Das Meer sichert das Überleben der Kubaner. Den Fischern wie Ismael, die mit ihren Pneumaticos, alten Autoreifen und ein paar Einsiedlerkrebsen als Köder, auf das offene Wasser hinaus schaukeln, den staatlichen Fang-Flotten, die in der Marina Hemingway auf die nächste Tour warten, den Touristik-Unternehmen, die mit Bettenburgen die Strände rund um Varadero zubunkern oder Insel-Paradiese wie Cayo Largo verschandeln.
Das musst du in Kuba gesehen haben!
Wer Kubas Herz erobern will, meidet diese Touristen-Ghettos. Fünfmal habe ich Anlauf genommen, fünfmal habe ich mich in die Insel schwer verliebt. In Menschen, die mich mit in ihr Zuhause genommen haben, mir Essen und Trinken serviert haben, obwohl sie selbst nicht viel hatten.
Irgendwo zwischen der Schweinebucht und Trinidad hat uns mal ein kleines Mädchen in einer Bar eine Limo spendiert, weil wir keine Pesos hatten und der Wirt absolut keine Dollars annehmen wollte. Ein anderes Mal trommelten sie in Catalina das halbe Dorf zusammen, weil ich mit meinem Freund Bedri, einem Äthiopier, das Land besuchte. Fast jede kubanische Familie hatte ein Mitglied in den Freiheitskampf der Äthiopier geschickt. Außerdem entsendete Kuba Entwicklungshilfe. Äthiopien – das war also in den Augen der Kubaner ein ganz, ganz armes Land. Wenn nun also ein Äthiopier nach Kuba kam, musste der Mann mindestens Präsident oder König, oder noch etwas Größeres sein. Kurz: Bedri wurde gefeiert.
Ja, feiern können sie, die Kubaner. Jeden Abend für die Touristen in der Tropicana-Show (unbedingt hingehen), in den riesigen Discos und Livemusiktempeln Havannas, vor deren Toren inzwischen auch ein Ferrari und Maserati keine Seltenheit mehr sind. Und natürlich in den unzähligen Bars. Dabei muss es nicht immer die Bodeguita del Medio, in der Hemingway seinen Mojito reinschüttete, oder die Floridita, in der er seinen Daiquiri schlürfte, sein. Überall schießen kleine Haus- oder Wohnungs-Restaurant, sogenannte Casa particulares, aus dem Boden.
Was von Fidel Castro blieb
Fidel Castros Bruder Raúl hat im Laufe der Jahre zusehends die Zügel gelockert. Die Altmänner-Riege beginnt loszulassen. Einerseits haben sie viel für das Land getan, ein Bildungs- und Gesundheitssystem für alle aufgebaut, andererseits mit Angst und Schrecken regiert. Tausende verschwanden hinter den Gefängnismauern. Davon wollen die neuen Hoffnungsträger heute nichts mehr hören. Ich hatte Gelegenheit, einen Spitzenpolitiker persönlich zu treffen. Mit einigen anderen Journalisten stellten wir ihm kritische Fragen zur Diktatur seiner Partei. Er lächelte nur, legte seinen Arm auf meine Schulter und sagte: „Du trinkst unseren Rum, du isst unser Essen, du tanzt mit unseren Mädchen. Warum stellst du so böse Fragen? Magst du unser Land nicht?“
Man ist für oder gegen Kuba. Ein Dazwischen gibt es für das Regime nicht. Doch immer mehr Kubaner finden die Lücken. Und die Regierung duldet sie. Zu groß sind die wirtschaftlichen Sorgen. Da sind keine DDR oder UdSSR mehr, die Abnahme-Garantien für Zuckerrohr geben. Und die komplette Aufhebung des US-Embargos braucht noch seine Zeit. Noch länger wird es aber dauern, dessen Nachwirkungen zu überwinden. Bleibt der Rettungsanker Tourismus. Die Insel hat Perlen ohne Ende. Wer mit dem Auto versucht, die Insel auf eigene Faust zu entdecken, wird hinter jeder Biegung, hinter jedem Berg ein neues Abenteuer, einen neuen atemberaubenden Anblick entdecken.
Im Westen rund um die riesigen Tabakplantagen, der Orchideengarten von Sorda, der Nationalpark im Tal von Viniales oder Gauchodörfer wie Las Cadenas. Andere Touren führen von Havanna aus südwärts in die (wenig spektakuläre) Schweinebucht.
Wie gefährlich ist Trinidad?
Wer Trinidad besucht, fühlt sich um Jahrhunderte zurückversetzt und wird in der näheren Umgebung Autopisten und Bergdörfer entdecken, die einem das Gefühl geben, man sei plötzlich in einen „Indiana Jones“-Film gezappt.
In dieser Ecke haben wir mal einen Anhalter mitgenommen. Er schmiss erst seinen Beutel auf den Rücksitz unseres roten Toyotas, dann seine Machete. Der Mann kam wohl von der Zuckerrohrernte und wollte in sein Bergdorf. Als ich sein langes Messer sah, drückte ich das Gaspedal durch und schoss mit 80 Sachen über die Schotterpisten. Bis er uns aufforderte, anzuhalten, um auszusteigen. Denke, der arme Kerl ist nie wieder zu einem Touristenpaar ins Auto gestiegen. In seinem Dorf wäre ich gern ein paar Tage geblieben. Hier war die Zeit wirklich stehen geblieben.
Völlig unbegründet war dagegen meine Angst. Selten habe ich ein Land mit ehrlicheren und freundlicheren Menschen gesehen. Selbst in der tiefsten Nacht, in der wildesten Ecke und der dreckigsten Spelunke Havannas ist mir nicht ein einziger Peso abhanden gekommen. Im Gegenteil. Noch nie ist mir so viel geschenkt worden. Soviel Gastfreundschaft, so viel Freundlichkeit, so viel Lachen, so viel Rum. Nie werde ich den Abend in der Bar des Hotel Inglaterra vergessen, als ich der Band eine Runde Marlboro ausgab und sie dafür die halbe Nacht für uns so wunderschöne Lieder wie das „Girl from Ipanema“ spielten.
Party auf Kubas Straßen am frühen Morgen
Nie werde ich die einzige „Guten Morgen“-Party meines Lebens vergessen. Nach einer langen, fröhlichen Nacht zog ich mit einem Spitzenmanager der Touristikbranche in Richtung Hotel Nacional. An einer Straßenecke entdeckte der Manager plötzlich einen Kiosk, der noch (oder schon?) geöffnet hatte. Ein gellender Pfiff riss die Menschen aus dem Schlaf. Morgens um fünf!
Ich ahnte nichts Gutes und musste nach 30 Minuten bewundernd feststellen, dass um uns herum das pralle Leben tobte. Erst waren die Fensterläden aufgegangen, dann tauchten die ersten im Morgenmantel auf. Wir verteilten Bierdosen, die Kubaner holten Kaffee und Gitarren. Nach einer Stunde beendete ein freundlicher, aber doch sehr resoluter Polizist den Spaß. Die Kubaner gingen zur Arbeit und wir ins Bett.
Schon vor der Revolution hat Kuba das meiste Geld mit seinen Partys und seiner Schönheit verdient. Manche Kubaner fürchten sich davor, dass die Insel vom Geld der Amerikaner erobert wird, wenn die Castros das Zeitliche segnen. Havanna liegt nur 30 Flugminuten von Miami entfernt. Früher kamen sie mit Jetbooten und auf Auto-Fähren.
Ihre alten Autos fahren immer noch über die Insel. Die Mehrheit der Menschen jedoch freut sich über die Öffnung und setzt auf das freundliche Amerika der Ära Obama. Doch wie der neue Flirt zwischen USA und Kuba ausgeht, ist noch ungewiss. Nach dem Präsident ist vor dem Präsident. Und so gibt es im Hotel Nacional weiter den Geheimgang, durch den Al Capone zum Hafen flüchtete. Also zurück in die Zukunft?
Kuba berappelt sich nach der Krise
Ein Land, in dem ein Kellner allein mit Trinkgeldern das x-fache eines Herzchirurgen verdient, ist anfällig. Die nun angeschobene politische Reform längst überfällig. Aber Kuba in diesen Zeiten – das ist ein neues Kuba. Ein stolzes Kuba. Kulturell faszinierend. Menschlich fabelhaft. Vielleicht bald auch ein Land, frei von Fesseln. Den Fesseln eines zügellosen Kapitalismus und den Fesseln eines erdrückenden Kommunismus. Das Lied der Freiheit – Luis will es noch spielen. Und seine Trompete wird dann die Melodie über das Meer in die Welt tragen.
Reisereporter