Geschätzte 70.000 Schafe sollen auf der Insel leben. Ordentlich registriert sind dagegen die 57.000 Gotländer. 23.000 von ihnen leben in Visby, dem „außergewöhnlichen Beispiel einer nordeuropäischen, von einer Mauer umgebenen Hansestadt, die in einzigartiger Weise als geschlossene Stadtanlage erhalten ist“. So begründete die Jury der Unesco ihr Urteil für das mittelalterliche Städtchen, dem sie 1995 den Titel „Weltkulturerbe“ verlieh.

Die 3,5 Kilometer lange Stadtmauer Visbys solltest du auf jeden Fall einmal umwandern. Allerdings ist Visby nur der kleinste Teil der schwedischen Sonneninsel. Der Rest ist 176 Kilometer lang, die 25 Kilometer von Fårö sind da mitgerechnet, knapp 50 Kilometer breit und selbst in der Hochsaison von Ende Juni bis Mitte August eine mehrtägige Radeltour wert. Doch keine mit Gepäckbeförderung. Ist auch nicht nötig. Gotlands höchster Hügel ragt 82 Meter aus dem Meer. Der ist auch mit Gepäck zu bezwingen.

Beim Fahrradverleih am Hafen, unterhalb der Jugendherberge von Visby, wird das Nötigste aus dem Koffer in die geliehenen Satteltaschen umgepackt, der Koffer wartet auf meine Rückkehr. Angst, dass etwas wegkommt, ist unnötig. Nur ARD-Kommissarin Maria Wern von der Kripo Gotland muss sich mit kriminellen Elementen herumschlagen. Selbst die alten Wikinger, deren Spuren auf Gotland überall sichtbar sind, waren nur halb so wild und kämpferisch, wie uns die Geschichtsbücher lange glauben machten. Die meisten waren arbeitsame Bauern, Fischer oder Händler.

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Gotländer leben kaum noch vom Fischfang

Heute leben die Gotländer zum größten Teil von den Touristen, die profitieren weiter von den ererbten Talenten. Wer sich in einem der typischen „stugor“ einmietet, den oft rot gestrichenen Hütten entlang den (Sand-)Stränden, in den Wäldern oder der Heide, kann in unzähligen Hofläden das Gemüse frisch vom Feld kaufen. Vom Fischfang leben heute höchstens noch zwei Prozent der Bevölkerung. Das „Bakfickan“ am Stora Torget, am Großen Platz, in Visby stellt sich als urgemütliches Himmelreich für Leute heraus, die fangfrischen Fisch mögen.

Die bis weit nach Asien reichende Handelstradition der Wikinger, sie lässt sich im Fornsalen studieren, im Kulturhistorischen Museum. Mehr als 750 Silberschätze aus dieser längst entschwundenen Zeit wurden bisher auf der Insel gefunden, und ein stattlicher Teil ist in dem restaurierten Gebäude aus dem 19. Jahrhundert zum Greifen nah. Mein gemütliches Radeln wird regelmäßig von stresslosen Stopps unterbrochen. Bei Fröjel, nach einer wikingerhaften Lammkeule im Fröjel Resort (mit Schwimmbad), geht es einige Kilometer gen Osten ins Landesinnere: Pferde gucken, halb zahme, besonders kleine Pferde, die „gotlandsrussen“. Noch vor einigen Jahren waren die Tiere fast ausgestorben, jetzt lebt wieder eine ganze Herde von ihnen in einem Waldstück in der Heidelandschaft von Lojsta.

Von Burgsvik und dem nahen Öja, wo ein holzgeschnitztes Triumphkruzifix in der mittelalterlichen Dorfkirche zu bestaunen ist, nehme ich den Bus hoch in den Norden, geradewegs bis auf den Kirchplatz von Fårö– Bergman-Land. Das Inselchen am nördlichsten Zipfel Gotlands ist längst eine Pilgerstätte für Filmfans aus aller Welt.

Hier lebte Ingmar Bergman fast vier Jahrzehnte lang, nachdem er die herbe Kraft dieses Landstrichs 1960 als Kulisse für seinen Film „Wie in einem Spiegel“ (Såsom i en spegel) entdeckt hatte. Hier starb der Regisseur 2007 hochbetagt in seinem Haus, auf dem Friedhof liegt er begraben. In der Kirche wird jedes Jahr die Bergman-Woche eröffnet, im Bergman-Center wird die Inselgeschichte erzählt: von einer florierenden Gemeinde mit Post, Schule und Krämerläden noch in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts bis zum heutigen Sehnsuchtsort für Ruhesuchende.

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Skulpturen aus weichem Kalkstein

Raukar nennen die Schweden die bizarren Felsgebilde, die Wind und Wetter in Jahrmillionen geformt haben. Steht ein Hinweisschild am Straßenrand, das „Raukområde“ (Rauk-Gegend) verspricht, dann nichts wie hin. Kein Bildhauer kriegt ausdrucksstärkere Skulpturen aus dem weichen Kalkstein gehauen.

Die Stadtmauer von Visby auf Gotland ist UNESCO-Weltkulturerbe.

Von Fårö zurück mit der (kostenlosen) Fähre und vorbei an Schwedens größtem Freilichtmuseum in Bunge und Gotlands größtem See, dem Bästeträsk, dem besten Sumpf, mache ich einen Abstecher im Kalkbruksmuseum von Bläse. Ein Industriedenkmal, das vor 30 Jahren vom damaligen Besitzer einer Stiftung geschenkt wurde. Dereinst bedeutete der Kalkabbau den Reichtum der Insel, heute fahren Eltern und Kinder in der wiederbelebten Eisenbahn über das weitläufige Fabrikareal. 2,2 Kilometer misst die Strecke, die längste Eisenbahnstrecke Gotlands.

Einige Tage Gotland haben genügt, um eine andere Welt, um unendlich viel zu erleben. Da sind die vielen Künstler und Kunsthandwerker, die allüberall in ihren Ateliers besucht werden können. Sogar eine eigene Textilroute gibt es. Und zwei Weinanbaugebiete, eines liegt in der Gemeinde Hablingbo, natürlich ökologisch. Ich verbrachte eine Nacht in einem total verrückten Bed and Breakfast auf Fårö, Slow Train heißt’s. Und der Saffranspannkaka, der ist zwar überall zu haben.

In der umgebauten Remise eines 150 Jahre alten Herrenhauses in Burgsvik, Pension und Restaurant Grå Gåsen, schmeckte der Pfannkuchen aber am köstlichsten: serviert mit Salmbärssylt, einer Marmelade aus gotländischen Blaubeeren. Schluss mit dem Schwärmen. Toll war’s. Jättekul, sagt da der alte Schwede.