Die Sicherheit spielt an vielen Urlaubsorten eine besondere Rolle. Doch an dieser Eisenbahnbrücke im dänischen Middelfart, der Lillebæltsbroen, schauen sie noch genauer hin als anderswo. Dort, wo wir heute hingehen, kann nämlich schon ein kleiner Stein oder eine Geldmünze zum Geschoss werden. Alle Gegenstände müssen beim Bridgewalking fest mit dem Körper verbunden sein – oder sie werden angebunden. Absolut nichts darf herunterfallen.

Es geht hoch hinaus. Ganz oben auf der Brücke über den Kleinen Belt, die Jütland mit der Insel Fünen verbindet, werden wir uns 60 Meter über der Wasseroberfläche befinden. Doch zunächst müssen wir penibel unsere Taschen nach Gegenständen durchsuchen, die bei einem Sturz in die Tiefe äußerst gefährlich für Autofahrer, Fußgänger und Zuginsassen auf der Brücke oder Segler auf der Meerenge werden könnten. Ein Schutzanzug, der die gesamte Kleidung überdeckt, soll die letzte Sicherheit für die unten Gebliebenen bieten.

Damit Autofahrer und Zugführer nicht zu sehr abgelenkt werden, müssen Bridgewalker einen grauen Schutzanzug tragen.

Aber der graue Ganzkörperanzug hat auch noch einen anderen Zweck: Die Veranstaltung des Höhenspektakels, das es auf der gesamten Nordhalbkugel nur in der dänischen Kleinstadt zu erleben gibt, müssen sich als geduldeter Gast der Bahngesellschaft auf der Brücke tarnen.

„Die Besuchergruppen bilden sonst auf der Brücke einen bunten Regenbogen“, erklärt unser Scout. Zum einen soll das graue Einheitsbild der Stahlkonstruktion aus den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts – einer Art Industriedenkmal – nicht beeinträchtigt werden. Zum anderen dürfen die Autofahrer auf den engen Fahrspuren der Brücke nicht zu sehr abgelenkt werden. Sicherheit geht eben vor.

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Als Reporter bekommen wir ausnahmsweise die Erlaubnis, Kameras mit nach oben zu nehmen, die aber fest an das Haltegeschirr angebunden werden, das wir zu unserer eigenen Sicherheit jetzt auch noch anlegen müssen. Ausgerüstet wie beim Bungee-Jumping zieht die Gruppe los in Richtung Brücke. Nur, dass wir nicht hinunterspringen wollen. Wir wollen ganz hoch hinaus.

Bei ihrer Tour sind die Teilnehmer mittels Haltegeschirr mit der Stahlkonstruktion verbunden.

Am Fuß der ersten Treppe macht unser Scout noch den letzten Check: Wer Kreislaufprobleme oder Alkohol getrunken hat oder sich auf andere Weise nicht fit fühlt, muss hier umdrehen. Personen, die kleiner als 1,40 Meter sind, dürfen aus Sicherheitsgründen ohnehin nicht teilnehmen.

Der Blick auf die hohe Stahlkonstruktion lässt mich zweifeln: So ganz ohne Höhenangst bin ich nicht angereist. Doch an der ersten Stufe bessert sich mein Sicherheitsempfinden. Am Ende eines Riemens an meinem Tragegurt befindet sich eine Stahlkugel. Diese wird in eine Führungsschiene eingesetzt, an der ich ab jetzt entlanggeführt werde. Die Kugel verhindert, dass ich mich mehr als einen halben Meter von der Schiene entfernen kann. Auch wenn ich wollte, könnte ich jetzt die Geländer nicht mehr überklettern, geschweige denn aus Versehen herunterfallen. Der Puls verlangsamt sich. Der Aufstieg kann losgehen.

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Eisenbahnbrücke Middelfart: Hoch über der Ostsee

Nach den ersten Treppen gehen wir über breite, fest installierte Stahlroste über das abfallende Ufer hinweg zum eigentlichen Aufstieg. Der Blick nach unten ist schon hier schwindelerregend. Wer bei den 30 Metern bis zu den Ostseewellen weiche Knie bekommt, kann hier noch einmal umkehren. Danach der Point of no Return, wie unser Scout erklärt. Die Schiene teilt sich. Ein Strang führt auf der anderen Seite der Roste zurück. Ich sage meiner Höhenangst den Kampf an und gehe weiter: Ich will hoch hinaus, bis auf das Dach der Brücke.

Stufe um Stufe geht es weiter nach oben. Als wir die Fahrbahnebene passieren, donnert ein Zug vorbei. Die Brücke beginnt stark zu vibrieren. Der gesamte Zugverkehr aus Deutschland in Richtung Kopenhagen und Schweden muss diesen Engpass über den Kleinen Belt passieren. Alle sieben Minuten steuert ein Lokführer sein Gefährt über die Gleise des Stahlkolosses. Daneben fahren Autos, dicht an dicht in beide Richtungen, und das, obwohl der meiste Verkehr in Richtung der dänischen Hauptstadt über die neuere benachbarte Autobahnbrücke rollt, die den Kleinen Belt in West-Ost-Richtung überspannt.

Ganz oben weht uns eine steife Brise um die Nase. Die wechselnden Winde im Kleinen Belt machen das Revier interessant für Segelfreunde. Die Boote auf dem Wasser sehen aus wie Spielzeuge. Die Besatzungen winken uns zu, kaum zu erkennen aus dieser Höhe. Ich schwanke. Wird mir am Ende doch doch noch wegen der Höhe übel? Oder wegen der hier oben deutlich schmaleren Roste, die unter meinen Füßen deutlich vernehmbar klappern beim Erklimmen des Brückenscheitels. Nur 49 Zentimeter ist der Weg hier oben breit – abgesehen von der Anstregung des Aufstiegs ein weiterer Grund, warum die Kletterei für stark übergewichtige Personen keinen Sinn ergibt.

Ganz oben angekommen: Kurz vor dem Bridgewalking genießt Uwe Kranz die Aussicht.

Aber wirklich unsicher fühle ich mich an keiner Stelle der Tour. In Wirklichkeit schwanke auch nicht ich, sondern die Brücke selbst. Sie ist so gelagert, dass sich das Metall bei großen Temperaturunterschieden dehnen und zusammenziehen kann. Unser Scout erklärt uns diese technische Finesse an einer der Trennstellen.

Die beiden Brückenteile, die hier mit deutlich sichtbarem Abstand aufeinandertreffen, bewegen sich gerade, als ein weiterer Zug unter uns hindurchfährt, um mehrere Millimeter. Staunend lauschen wir den Erklärungen des Scouts, der bei all dem lauten Geräuschmix von Autos, Zugverkehr und Wind über einen Knopf im Ohr mit uns spricht.

Der Wind, der uns umweht, und die Aussicht, die weit über Jütland und Fünen hinwegreicht, entschädigt für den mühevollen Aufstieg.

Noch einmal geht es rund drei Meter aufwärts. Jetzt balancieren wir quasi auf einer Querstrebe über den Fahrbahnen. Die Arbeiter, die sich einst um einen Job beim Brückenbau beworben haben, mussten auf diese Art beweisen, dass sie schwindelfrei sind – ohne Netz und doppelten Boden. Zehn Jahre zogen sich die Bauarbeiten damals hin. Immer wieder ging das Geld zur Neige oder die Arbeiter verzögerten durch ausgedehnte Streiks die Fertigstellung des Verkehrsweges. Bemerkenswert, dass in der ganzen Zeit nur zwei der Brückebauer ums Leben kamen – trotz fehlenden Sicherheitsnetzes in dieser halsbrecherischen Arbeitshöhe.

Im Gegensatz zu diesen furchtlosen Teufelskerlen haben wir natürlich auch hier ein Rost unter den Füßen und die Sicherheitsschiene auf unserer rechten Seite. Und trotzdem umfängt uns hier, auf dem Dach der Brücke, ein Gefühl von grenzenloser Freiheit. Der Wind, der uns umweht, und die Aussicht, die weit über Jütland und Fünen hinwegreicht, entschädigt für den mühevollen Aufstieg. Der Blick schweift über die historische Bastionsstadt Fredericia, wo die Dänen 1849 die Wende in der Schleswig-Holsteinischen Erhebung erzwungen haben, hinüber zu den noch höheren Pylonen der Autobahnbrücke, die fast zum Greifen nah erscheint.

Wer sich zum Brückenklettern an der Lillebæltsbroen im dänischen Middelfart entscheidet, wird mit einzigartigen Aussichten belohnt – zum Beispiel mit dem uneingeschränkten Blick auf die deutlich jüngere Autobahnbrücke.

Schnell stellt sich aber auch heraus, dass wir, trotz der grauen Anzüge hier oben, nicht ganz unsichtbar sind. Dröhnend erreicht uns der Gruß aus dem Horn eines Zugführers, der uns bei der Brückenüberfahrt ganz oben auf der Stahlkonstruktion ausgemacht hat. Und wenige Minuten später touchiert ein Lieferwagen unten auf der Fahrspur die Leitplanke. Vermutlich hat er zu lange zu uns nach oben geschaut und dabei leicht die Spur verlassen. Ohne erkennbaren Schaden an seinem Fahrzeug und scheinbar unbeeindruckt setzt er aber seine Fahrt über die Lillebæltsbroen fort.

Auch wir machen uns wieder auf den Weg und erreichen bald nach 800 Metern Brückenlänge das andere Ufer des Kleinen Belts. Am Festland halten wir uns aber nicht lange auf, sondern machen uns auf der anderen Seite der Konstruktion wieder auf den Rückweg zur Insel Fünen, die als Heimat des berühmten Autors Hans Christian Andersen den Titel Märcheninsel trägt. Attraktionen wie das Bridgewalking und ein neuer Schwerpunkt für Fahrradreisen sollen Fünen aber als Urlaubregion aus dem Schatten der Badestrände an der Westküste mit ihren Ferienhaussiedlungen heraushelfen.

Nach rund zwei Stunden brauchen auch wir etwas Hilfe, um aus unserer Ausrüstung herauszuklettern. Auf dem Rückweg gibt es noch die Möglichkeit, sich anhand von Schautafeln und einem kleinen Museum über die Geschichte und den Bau der Brücke zu informieren. Den Anzug dürfen wir sogar als Erinnerung mit nach Hause nehmen. Dorthin führen von hier aus drei mehr oder weniger direkte Wege über den Lillebælt: über die Autobahn, per Fähre nach Sønderborg oder auf der Fahrbahnebene noch einmal über die Lillebæltsbroen.

Tipps zum Bridgewalking

Anreise: Über die Autobahn 7 (E 45) und ab Kolding die E 20 ist die Lillebæltsbroen bequem in wenig mehr als einer Stunde ab der Landesgrenze zu Dänemark erreichbar. Wer sich unterwegs ein erstes Bild von der Landschaft Fünens machen möchte, nimmt die Fähre ab Sonderborg. Sie legt alle zwei Stunden ab. Die Überquerung des Kleinen Belt dauert 50 Minuten. Einen Flugplatz gibt es in Odense, im Zentrum der Insel. Von dort dauert die Autofahrt nach Middelfart eine Dreiviertelstunde.

Bridgewalking: Die Brücke ist das ganze Jahr lang wochentags von 10 bis 16 Uhr und an Wochenenden bis 17 Uhr für Besucher geöffnet. Kinder und Jugendliche zahlen im Online-Vorverkauf 199 dänische Kronen (etwa 26,80 Euro) für das Brückenklettern. Für Erwachsene kostet es 249 Kronen (etwa 33,50 Euro). Vor Ort ist es für beide etwas teurer.

Bridgewalking Velkomstcenter | Galsklintvej 4, 5500 Middelfart, Dänemark | E-Mail: bridgewalking@bridgewalking.dk