Wirklich überraschend ist es nicht, dass so viele britische Künstler den kleinen Hafenort St. Ives als Motiv für sich entdeckten. Hier im äußersten Südwesten Englands ragt ein Zipfel von Cornwall so verschlungen in den Atlantik, dass das Ganze auch ohne Leinwand richtig malerisch wirkt.

Zu beiden Seiten liegen Strände aus feinem Sand, die flach in das türkisfarbene Wasser auslaufen. Auf der einen Seite schaukeln kunterbunte Boote im Hafen – zumindest, wenn zweimal am Tag die Flut hineinschwappt. Auf der anderen stürzen sich bei Wind und Wetter Surfer in die Wellen des Meeres. Cornwall mag vielerorts verschlafen und bisweilen romantisch sein. In St. Ives ist Englands südwestlichste Grafschaft selbstbewusst, rau und stellenweise sogar ein bisschen hip.

Künstler zieht es in nach St. Ives

Clare Wardman genießt diesen Ausblick jeden Tag. Aus dem Panoramafenster ihres bescheidenen Ateliers in den Porthmeor Studios hat sie Strand und Wasser immer vor Augen. Die Wände hängen voll mit bemalten Leinwänden, der Holzboden ist über und über bespritzt mit Ölfarbe.

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Es ist vor allem das einströmende Tageslicht, das Wardman und ihren Mann, den abstrakten Maler Iain Robertson, kreativ werden lässt. „Das Licht wandelt sich hier über den Tag“, sagt die Künstlerin, „aber es ist immer besonders – selbst an trüben Tagen.“ Und tatsächlich: Dichte Wolken verdecken an diesem Tag den Himmel über St. Ives, eine Regenfront entleert sich immer mal wieder über der Küste Cornwalls. Trotzdem wirkt es in Wardmans Atelier taghell. Ein Phänomen der Gegend, das bereits im 19. Jahrhundert Künstler in die Gegend brachte.

William Turner soll der erste gewesen sein. 1811 lud ihn die Stadt ein, um Landschaftsbilder zu malen. Turner kam und malte, wie ihm aufgetragen war, allerdings ohne große Euphorie. „Er hasste St. Ives“, hat Andrew Jackson recherchiert, der Besucher durch die Innenstadt führt. „Damals war St. Ives ein Bergbau- und Fischerdorf, dreckig, rau, außerdem stank es überall. Niemand konnte den Ort ernsthaft mögen.“

Der Bergbau aber rechnete sich schon früh nicht mehr, und mit den Minen verschwanden auch die Fische: Die Schwärme von Sardinen, für die diese Ecke Cornwalls früher bekannt war, zogen weiter. St. Ives stank nicht mehr, aber es drohte auch in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Wenn da nicht die Künstler gewesen wären.

Künstler im Portmeor Studio.

Ben Nicholson, Alfred Wallis und Christopher Wood gründeten 1928 die erste Künstlerkolonie von St. Ives. Die Bildhauerin Barbara Hepworth verbrachte weite Teile ihres Lebens hier. Ihre Werke prägen bis heute das Straßenbild, ihr früheres Wohnhaus wurde zum Museum.

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Aus London kommen die Reichen nach „Chelsea by the Sea“

Die Künstler verwandelten damals die Obergeschosse alter Fischerhäuser am Hafen in Studios. Und das sind sie bis heute. Ganze 22 gibt es noch in dem nur 11.000 Einwohner zählenden Ort. An jeder Ecke, so scheint es, gibt es eine Galerie mit Bildern hiesiger Künstler. Es sind keine Schnäppchen. Die Bilder sind eher für drei- und vierstellige Beträge zu haben.

Denn St. Ives ist im Volksmund in Anlehnung an einen teuren Londoner Stadtteil längst zum „Chelsea by the Sea“ geworden. Reiche Hauptstädter kaufen sich Ferienwohnungen, die früheren Einwohner sind weitergezogen in die umliegenden, günstigeren Dörfer.

Tate Gallery baute Nationalgalerie auf dem Land

Aus London ist auch ein Museum nach St. Ives gekommen: Die renommierte Tate Gallery huldigt den Künstlern des Ortes in einer ganz besonderen Weise. 1993 eröffnete sie am Porthmeor-Strand eine Außenstelle, die sich auf die vor Ort entstandenen Werke berühmter Maler und Bildhauer konzentriert. „Wir hatten damals bescheidene 70.000 Besucher jährlich erwartet“, sagt Tate-St.-Ives-Direktor Mark Osterfield, „es wurden aber 250.000 pro Jahr.“

Immer wieder hat Tate deswegen nachgerüstet, im Oktober 2017 schließlich eröffnete die Galerie einen 20 Millionen Pfund teuren Anbau. „Eine Nationalgalerie auf dem Land“, wie Julian German sagt, stellvertretender Vorsitzender des Regionalparlaments Cornwall Council. Aus seiner Sicht stimmt vor allem eines: Die strukturschwache Grafschaft kann mit Einrichtungen wie Tate den zwingend notwendigen Wandel schaffen.

Menschen genießen die Sonne auf der Dachterrasse des Tate in St. Ives.

Matthew Whittaker hat die Entstehung des Anbaus fast fünf Jahre begleitet. Der Projektarchitekt aus London unternahm wieder und wieder die sechs Stunden lange Zugfahrt in Richtung Südwesten, um die komplizierten Arbeiten zu koordinieren. Für den Anbau in bester Strandlage mussten Wohnhäuser umgesetzt und ein ganzer Hang aus Granit abgetragen werden.

Herausgekommen ist ein prägnantes, hohes Bauwerk, das wohl niemand hier zwischen den kleinen, schieferbedeckten Hafenhäusern Cornwalls erwarten würde. „Wir haben hier ein Gebäude, das die Schrulligkeit von St. Ives perfekt aufnimmt“, schwärmt Direktor Osterfield, „wo man durch kleine Plätze wandelt, um große zu entdecken.“

Diese Eigenart erfahren Besucher des Ortes tatsächlich sofort. Das Labyrinth an Gassen und schmalen Einbahnstraßen wirkt auf den ersten Blick unüberschaubar. Aber am Ende landet jeder früher oder später an einem der Strände.

Perfekte Kulisse für TV-Romanzen

Das klingt nach einer Filmkulisse, und das ist sie auch: Rosamunde Pilcher, die ganz in der Nähe – in Lelant – geboren wurde, lässt zahlreiche ihrer Geschichten hier spielen, auch wenn der Ort in ihren Büchern Porthkerris heißt. Das ZDF drehte entsprechend mehrere Verfilmungen der Romane in St. Ives. Die Vorteile haben Künstler wie Turner und Nicholson schließlich schon vor langer Zeit bewiesen: Um St. Ives in Szene zu setzen, braucht man nicht viel. Ein bisschen Farbe oder eine Kamera vor allem – der Rest kommt von ganz allein.

Tipps für die Reise nach St. Ives

Anreise: Von Deutschland nach London, von dort ab Paddington weiter mit der GWR-Eisenbahn nach St. Erth und dort weiter per Taxi oder Zug nach St. Ives. Im Sommer gibt es ab Düsseldorf meist eine Direktverbindung zum Flughafen Newquay, ab London-Gatwick das ganze Jahr über. Von Newquay aus dauert die Fahrt mit einem Mietwagen nach St. Ives noch rund eine Stunde.

Beste Reisezeit: Im Sommer wird es voll in St. Ives. Dann ist es auch teuer, da der Ort für viele Strandurlauber zum Reiseziel wird. Herbst und Frühjahr sind ideal, auch der Winter hat Charme – es friert in Cornwall so gut wie nie, Schnee gibt es nur alle paar Jahre.