Gleich am Anfang stehen Skipper (ich) und Crew (meine Frau) vor einer schweren Entscheidung: Links rum oder doch lieber nach rechts? Wohin soll die Reise gehen? Links bedeutet Müritz und die Oberseen, rechts die Kleinseenplatte. Auf beiden Seiten ist das Paradies. Für Wassermenschen.

Da wir unser Boot in Lärz an der Müritz-Havel-Wasserstraße übernommen haben, müssen wir uns entscheiden. Jetzt, auf der Stelle. Denn die Maschine läuft, die Leinen sind los. Wenn nicht gleich etwas passiert, treiben wir gegen die Kaimauer. „Links“ ruft meine Frau, die vorn am Bug steht und natürlich Backbord meint, aber das müssen wir noch ein wenig üben.

Wie so vieles auf der „Proud Mary“, einer respektablen Yacht von 13,40 Meter Länge und 4,20 Meter Breite. Für zwei Personen ist sie eventuell ein wenig groß geraten. Doch es gibt kein Zurück mehr. Also heißt es „Ahoi!“ und vorwärts, denn rückwärts ist mit diesem Dampfer schwierig.

Wichtig: Vorfahrtsregeln auf dem Wasser

Bevor wir die Leinen los werfen, werden wir noch von Andreas Marz vom Müritz-Yacht-Management über die Grundregeln der christlichen Seefahrt für die Charterbescheinigung belehrt, in diesem Fahrtgebiet ein Pflichttermin für Menschen ohne gültigen Führerschein. Die Einweisung besteht überwiegend darin, euphorisierten Seefahrern der Anfängerklasse zu erklären, was sie alles nicht dürfen – damit nachher auf dem Wasser nicht alles drunter und drüber geht und die Natur unseren Besuch unbeschadet übersteht.

Da liegt sie, die „Proud Mary“, mit der reisereporter Gerd Piper und seine Frau unterwegs waren.

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Ganz wichtig sind die Vorfahrtsregeln: Berufsschifffahrt hat Vorfahrt, Ausflugsdampfer auch, die Wasserschutzpolizei sowieso, ansonsten gilt wie im Straßenverkehr rechts vor links. Aber: Bestehe niemals auf deinem Wegerecht, denn der, der deinen Weg kreuzt, ist eventuell noch dümmer als du selbst. Und zum Schluss gibt es noch einen guten Rat: „Wenn ihr nach Waren kommt, ist da viel los. Klappt es nicht beim ersten Mal mit dem Anlegemanöver, macht euch nichts daraus. Denkt immer daran: Die anderen können es auch nicht besser.“ Na, dann ist ja gut.

Die ersten Meter auf der Yacht

Die ersten Meter auf dem Wasser sind eine gewisse Herausforderung. Denn irgendwie ist die „Proud Mary“ etwas träge. Man muss schon ziemlich am Ruder kurbeln, um das Schiff in die richtige Richtung zu bugsieren. Und dann wieder zurück, damit sie diese Richtung hält. Und wieder hin und wieder zurück. Das kann heiter werden.

Nur langsam lernen wir: Weniger ist hier mehr. Man muss dem Schiffchen nur etwas Zeit geben, dann dreht es ein, und nun stimmt auch die Richtung. Als äußerst hilfreich erweist sich, dass wir außer dem Proviant und einem gewissen Weinvorrat eine Seekarte dabeihaben. Zur besseren Orientierung. Damit wir überhaupt wissen, wo wir sind. Denn auf dem Wasser sieht die Welt ein wenig anders aus.

Zwar treffen wir auf einen Wegweiser, der uns bedeutet: Rechts (der Seemann sagt: „an Steuerbord“) findet ihr in 400 Metern den Fischer-Imbiss, doch wir sind uns nicht ganz sicher, ob dieses Schild mit der Binnenschifffahrtsstraßenordnung in Einklang zu bringen ist. Und zum Fischer-Imbiss wollen wir auch gar nicht.

Mit Yachten wie der „Proud Mary“ lassen sich komfortable Tage auf dem Wasser verbringen, auch wenn Motorboote vor allem auf den kleinen Seen nicht überall hin dürfen

Ansonsten ist mit Straßennamen oder Verkehrszeichen Fehlanzeige. Auch der Hobbykapitän orientiert sich an den Tonnen, die das Fahrwasser, Untiefen, Wracks und alles mögliche andere markieren. Übrigens ist es eine gute Idee, sich nach der Betonnung zu richten, denn wer nur wenige Meter vom Kurs abkommt, kann plötzlich im Schlick festsitzen. Und mal ehrlich: Gibt es etwas Peinlicheres, als jemand anderen anzurufen, damit er einen aus dem Dreck zieht?

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Das erste Anlegen: Ein Klacks

Unser erster Hafen ist Rechlin an der Kleinen Müritz. Von hier aus soll man die schönste Sicht auf den Sonnenuntergang haben. Heute ist es bedeckt. Dafür ist unser Anleger allererste Sahne. Langsam gleiten wir an den Steg, geben mit der Maschine einen kleinen Pull rückwärts und stehen. Ein Klacks!

Schnell Vor- und Achterleine belegt, ganz seemännisch zum Schluss auf der Klampe mit einem Kopfschlag, Strom angeschlossen, den Obolus für den Liegeplatz beim Hafenmeister entrichtet und den Wetterbericht für den nächsten Tag eingeholt, und ab geht’s auf die Terrasse des Yachtklubs. Dort gibt es köstliche Tagliatelle mit einer Pilztrüffelsauce, die wir hier so nie erwartet hätten, und ein kühles Bier. Ganz klar: So, in etwa, haben wir uns das Paradies vorgestellt.

Ein bisschen Seenot ist keine Option. 

Der nächste Tag wartet mit einer neuen Herausforderung: Wind. Wir dürfen nur bei bis zu vier Windstärken auf der Müritz unterwegs sein – der größte Binnensee Deutschlands hat durchaus seine Tücken, der Wellenschlag kann garstig sein, und ein bisschen Seenot ist keine Option. Egal, Schwimmwesten an, auch das ist für Charterer Vorschrift, und dann geht’s auf nach Norden.

Die „Proud Mary“ stampft und wühlt sich tapfer durchs Wasser, der Wind pfeift uns eiskalt entgegen, in den sperrigen Schwimmwesten sehen wir bescheuert aus, aber sie halten wenigstens die Kälte ab. Nach vier Stunden erreichen wir endlich mit klammen Fingern die enge Passage in den Kölpinsee. Der Wind verebbt in den Baumwipfeln, die Mücken haben freie Bahn, aber so schnell sind wir nicht kleinzukriegen.

Unser Ziel ist der kleine Yachthafen von Maribell am Jabelschen See. Als wir ankommen, ist der Wind auch schon da. Das macht das Anlegen übers Heck zur Kunstform, Gott sei Dank ist es früher Nachmittag und niemand ist da, der unser Manöver bewerten könnte. Nur der Hafenmeister hilft etwas beim Rangieren, und der sieht so aus, als sei er verschwiegen.

Paddler haben irgendwie immer recht, das ist so wie im Straßenverkehr zwischen Auto- und Radfahrern.

Da der Wind tags darauf noch nicht eingeschlafen ist, machen wir kehrt, drehen im Stadthafen Röbel eine Ehrenrunde und verschwinden dann in Richtung Mirow. Der Wind kommt jetzt von achtern, ein laues Lüftchen, die Sonne brennt, T-Shirt-Wetter, wir Müritzkreuzfahrer sind in Höchstform. Und uns lacht das Glück: Statt stundenlanger Wartezeiten an der Schleuse Mirow, die im Sommer durchaus Standard sein können, sind wir in einer halben Stunde durchgerutscht.

Kapitän und Crew erweisen sich beim Schleusen einmal mehr als eingespieltes Team, allenthalben schlägt uns Bewunderung und einmal der Zuruf „Wollen wir nicht tauschen?“ entgegen. Tja, Seebeine wachsen nicht jedem. Wobei sich beim Schleusen schon die eine oder andere menschliche Schwäche offenbaren kann, denn es wird gebummelt, gedrängelt oder rumgebrüllt. Und Paddler haben irgendwie immer recht, das ist so wie im Straßenverkehr zwischen Auto- und Radfahrern.

Warten auf die Weiterfahrt: An der Diemitzer-Schleuse im Müritz-Havel-Kanal ist zur Saison viel los.

Kleinseenplatte: Hilfe, da sind Brücken...

Die Kleinseenplatte entpuppt sich dann als ein gar lieblich Ding. Wildromantische Buchten, Schilfgürtel, Kanäle und Brücken. Bei Letzteren kann einem schon mal der Angstschweiß ausbrechen. Merke: Ein großes Schiff ist zwar schön, aber nicht immer gut. Auf beiden Seiten kann es eng werden, und oben muss man den Kopf einziehen.

Dafür finden wir jede Menge Ankerplätze und kleine Anleger. Und wir staunen, was hier alles so rumschwimmt. Flöße à la Huckleberry Finn, Wohnwagen auf Pontons, die Menschen winken und lachen fröhlich. Mit ein bisschen Glück trifft man irgendwo an einer Schleuse auf Jens Winkelmann, der es mit seinem schwimmenden Wasserkiosk bis ins Fernsehen geschafft hat und hier die Freizeitkapitäne versorgt – mit Getränken aller Art über geräucherten Fisch bis zu Mutters Erdbeerkuchen. 

Ein perfekter Sommertag auf dem Wasser

In Rheinsberg werfen wir vom Wasser aus einen Blick aufs Schloss und drehen im Hafendorf eine Runde. Es lohnt sich, denn die Idee, die in Europa einst in Port Grimaud an der Côte d’Azur entstand, indem dort die Reichen sozusagen direkt aus dem Wohnzimmer auf ihr Schiff wechseln können, hat es bis hierher geschafft.

Wem die Anlage etwas zu klinisch ist, der verlegt sein Schiff je nach Windrichtung an eines der weitläufigen, naturbelassenen Ufer und wirft den Anker. Hier kann man schwimmen, in der Sonne faulenzen oder lesen. Wenn dann langsam die Dämmerung heraufzieht, man das Ankerlicht und im Cockpit die Kerzen angemacht und eine Flasche Wein geöffnet hat, bekommt man eine ziemlich konkrete Ahnung davon, wie sich ein perfekter Sommertag auf dem Wasser anfühlen kann.

Sonnenuntergang am Hafen von Rechlin, perfekter Abschluss für den Törn mit der Yacht.

Am nächsten Morgen heißt es dann: Anker auf! Leichter gesagt als getan, denn statt über eine elektrische Winsch muss das schwere Ding per Muskelkraft hochgeholt werden. Auf dem Rückweg laufen wir die Schlossinsel Mirow an, lassen uns von Hafenmeister Ole, einer lokalen Legende, einen Liegeplatz zuweisen und blockieren damit gleich ein halbes Dutzend anderer Schiffe. Macht aber nichts, Ole regelt das.

Unseren letzten Abend verbringen wir dann wieder in Rechlin. Und weil wir Kinder des Glücks sind, versinkt die Sonne dieses Mal als brennender Feuerball am Horizont.

Kurzinfo: Die Mecklenburgische Seenplatte

Es heißt das Land der 1.000 Seen: die Mecklenburgische Seenplatte. Weil Flüsse und Kanäle viele dieser Seen miteinander verbinden, gilt das Gebiet als das größte vernetzte Wassersportrevier Europas. Im Norden ist die Müritz, Deutschlands größter Binnensee, Teil der Mecklenburgischen Seenplatte.

Durch zahlreiche Schleusen entlang der Müritz-Elde-Wasserstraße kommt man bis zur Landeshauptstadt Schwerin, über die Elbe geht es sogar weiter bis nach Hamburg. Am südlichen Rand der Seenplatte liegt Berlin. Von hier führen Wasserwege bis zu den größten Seen Brandenburgs, wie dem Scharmützelsee und dem Werbellinsee.

Neben dem Unternehmen Müritz-Yacht Management, mit dem wir unterwegs waren, gibt es in dem Revier Bootsverleiher wie Kuhnle Tours, Le Boat, Yachtcharter Schulz oder Yachtcharter Römer. Dazu kommen die Anbieter der schwimmenden Hausboote und motorisierte Wassercamper wie freecamper oder Müritzboot.