Mit einer Distanz von insgesamt 127 Kilometern und 3700 Höhenmetern ist der Kinzigtäler Jakosbusweg schon für junge, gesunde Wanderer und Wanderinnen kein Spaziergang. Fügt man ein paar Jahrzehnte, gelähmte Füße und einen Rollator hinzu, dann klingt eine Wanderung über die Teilstrecke des weltberühmten Jakobswegs im Schwarzwald fast unmöglich. Doch Peter Tschöpe hat sie zurückgelegt, und das nicht nur einmal.

Eine kleine Tour durch den Schwarzwald

Eine seltene Nervenkrankheit führt dazu, dass die Füße und Unterschenkel des 79-Jährigen aus Kehl in Baden-Württemberg gelähmt sind. Auch mit Medikamenten lässt sich die Krankheit nicht heilen. Früher sei er viel gewandert, erzählt Peter dem reisereporter. Doch als seine Krankheit voranschreitet, muss er sich beim Gehen erst mit Nordic-Walking-Stöcken behelfen und ist schließlich auf einen Rollator angewiesen.

Der 79-Jährige ist mit einem handelsüblichen Rollator unterwegs.

Unterkriegen lässt er sich davon nicht. „Ich habe dann immer Spaziergänge gemacht, rund um unser Dorf“, erinnert er sich. „Irgendwann ist mir das ein bisschen langweilig geworden. Und ich habe dann zu meinen Brüdern gesagt: Wer von euch wäre denn bereit, mal mit mir im Schwarzwald eine kleine Tour zu gehen?“

Alle drei Brüder sagen zu. An einem Wochenende wandern sie im Schwarzwald von Zell am Harmersbach nach Gegenbach – eine Strecke mit einigen anstrengenden An- und Abstiegen. „Aber wir waren ganz happy und haben dann beschlossen, wir machen das wieder“, erzählt Peter. 

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Ihre nächsten Wanderungen führen die Brüder über diverse Wandersteige im Brenztal. Einige der Ausflüge hält einer der Brüder mit der Kamera fest und veröffentlicht die Videos bei Youtube.

Pilgern mit dem Rollator

Treuer Begleiter auf jeder Wanderung ist Peters Rollator. Ein handelsüblicher Rollator, wie er erzählt – kein spezielles Equipment, keine besondere Ausstattung. Lediglich, dass die Bremskabel in einem Gestänge verlaufen und nicht nach außen abstehen, war ihm beim Kauf wichtig. „Das wollte ich nicht, weil ich Angst hatte, mich mit denen irgendwo mal zu verheddern. Da hatte ich aber noch nichts mit Schwarzwald im Sinn.“

Um mit dem Rollator durch das Gelände zu kommen, hat Peter eine eigene Technik entwickelt. „Wenn ich über Wurzeln gehe oder über Steine, über Felsbrocken, dann muss ich den Rollator ein Stück hochwerfen, irgendwo ankommen mit den Rädern und mich dann daran hochziehen.“

So legt er auch unwegsame Wege zurück. Und als auf einer Wanderung der Weg plötzlich endet, wandert er mit seinem Rollator sogar mitten durch den Wald.

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127 Kilometer durch das Kinzigtal

Nach den ersten erfolgreichen Rollatorwanderungen fällt Peter 2015 durch Zufall ein Buch über den Kinzigtäler Jakobusweg in die Hände. Der Wanderweg führt 127 Kilometer entlang der Kinzig von Loßburg nach Kehl. „Da habe ich festgestellt, dass wir als erste Tour die fünfte Etappe dieses Wegs gewandert waren, was uns nicht bewusst war“, erzählt er. Gemeinsam mit seinen Brüdern beschließt er, auch die restlichen Abschnitte des Pilgerwegs zu erkunden.

Und dabei hat der 79-Jährige einen eisernen Willen. Als am zweiten Tag kurz vor dem Etappenziel noch ein Abstecher zu einer Kapelle möglich ist, ist es Peter, der die Brüder zu dem steilen Aufstieg überredet. „Als wir oben waren, habe ich zu meinem jüngsten Bruder gesagt: Wie oft hast du mich auf dem Weg verflucht?“, erzählt Peter. „Da hat er gesagt: Nur einmal. Von unten bis oben.“

„Wer ein Ziel hat, findet auch einen Weg“ steht auf dem Brunnen – ein gutes Motto für Peters Wanderungen.

Nach drei Tagen und 63 Kilometern zwingen Peter Blasen an seinen Füßen zu einer Pause. Aufgeben kommt für ihn nicht infrage. „Für mich war es immer ein Reiz, mal was auszuprobieren, was nicht alle machen“, erklärt er seine Motivation.

Die nächsten Etappen legt er nach und nach an Wochenenden zurück. Dabei begleitet ihn mal der eine, mal der andere Bruder. Die vierte Etappe wandert Peter dann mit seinem ältesten Sohn, und die letzte meistert er mit seinem Enkel.

Allein unterwegs auf bekanntem Terrain

Genug vom Kinzigtäler Jakosbusweg hat Peter da aber noch lange nicht. Im vergangenen Jahr beschließt er, den Pilgerweg noch einmal zu wandern – diesmal aber ohne Begleitung. „Eine unbekannte Strecke wollte ich nicht allein gehen, weil das Risiko schon immer da ist, dass man mal ungeschickt fällt. Aber so wusste ich, wie die Etappen sind“, erzählt er.

2022 wanderte Peter Tschöpe allein auf dem Kinzigtäler Jakobusweg.

Trotzdem läuft auf der bekannten Route nicht alles nach Plan. Sieben Etappen will Peter am Stück gehen, 13 Kilogramm wiegt der Rucksack, den er auf dem Rücken trägt. Am ersten Tag ist er noch frohen Mutes. Doch dann: „In der Nacht bin ich aufgewacht und konnte mich vor Schmerzen kaum noch bewegen.“

Also passt der 79-Jährige sein Vorhaben an. Anstatt alle Etappen am Stück zu wandern, legt er jeweils zwei Abschnitte zurück und reist dabei mit leichterem Gepäck. Zweimal stürzt er unterwegs. „Aber das war jedes Mal auf einem unproblematischen Abschnitt, da bin ich auch allein gut hochgekommen.“

Seine Frau war anfangs skeptisch

Zur Sicherheit begleitet einer von Peters Brüdern die Solo-Wanderungen virtuell über eine App. „Wenn ich losgehe, bekommt er eine Nachricht, und dann kann er auf dem Handy verfolgen, wo ich mich gerade bewege.“ Und im Notfall Hilfe rufen, wenn doch etwas passiert.

Peter vor der Jakobuskapelle in Wolfach. Der Kinzigtäler Jakobusweg hat es ihm angetan.

Diese Lösung beruhigt auch Peters Frau. Sie war am Anfang wenig begeistert von seiner Wanderlust, sagt der 79-Jährige. „Die erste Reaktion war: ‚Du bist verrückt, muss das sein?‘ Und dann habe ich gesagt: ‚Ja.‘ Als wir zurück waren, hat sie gesagt: ‚Gott sei Dank!‘, und seitdem ist sie sehr zufrieden.“

Im November 2022 berichtet der Fernsehsender SWRüber Peters Rollatorwanderungen. Daraufhin habe ihn ein Mann angerufen, der mit ihm wandern möchte, erzählt Peter. Der 80-Jährige könne nur schlecht sehen und damit keine Karten lesen. „Er hat gesagt: Dann kann ich Ihnen helfen, wenn Sie umkippen, und Sie können auf die Wegweiser gucken.“ Anfang März wollen die Männer eine Tagestour machen, um einander kennenzulernen.

Er wandert nicht nur im Schwarzwald: 2019 nahm Peter am 10.000-Meter-Lauf in Straßburg teil – und wurde in seiner Gruppe Erster.

„Teile deine Kräfte ein, mach langsam“

Für alle, die wie er mit dem Rollator wandern wollen, hat Peter vor allem einen Ratschlag: „Probier’s mal aus.“ Zum Einstieg seien ebene Feldwege ideal, sagt er. Dann könne man sich langsam steigern, über unebene Wege laufen und sich dann beispielsweise an Wanderungen durch den Schwarzwald wagen. Wichtig ist in seinen Augen: „Teil deine Kräfte ein, mach langsam. Und nicht gleich meinen, es muss eine riesige Tour sein.“

Wie lange er selbst noch wandern kann, das weiß Peter nicht. „Noch kann ich laufen, aber ich weiß, ich bin nicht mehr so schnell wie früher.“ Pläne für neue Abenteuer schmiedet der 79-Jährige trotzdem. Gerade hat er sich einen weiteren Abschnitt des Jakobsweg vorgenommen: den bayerischen Jakobusweg. „Aber das hat noch ein bisschen Zeit“, sagt er lachend.