Ein Knallen, ein Krachen – und dann sackt er weg, bricht in sich zusammen. Der Eisberg, der eben noch am Nordufer des Eisfjords von Ilulissat auf dem Weg hinaus ins offene Meer stand, er ist weg. Wie eine Art Staubwolke aus Wasser wirbelt durch die Luft.

Das Boot ist zu weit weg, als dass die Wellen, die der Zusammenbuch des Eisbergs auslöst, ankommen würden. Auch deshalb sollen Boote nicht so nah an das Eis heran – bricht ein Eisberg zusammen, stürzt die Eiskante ab, dreht sich ein Eisberg herum, kann ein Tsunami entstehen, berichtet der Kapitän. Vor allem in Zeiten, in denen die Sonne intensiv auf das Eis scheint, ist das Phänomen zu beobachten. Durch die Hitze dehnen sich Luftbläschen aus und bringen das Eis zum Brechen.

Der Eisfjord von Ilulissat ist eines der größten Naturwunder. Eisberg an Eisberg reiht sich in der Meereszunge, sie werden nach und nach verdrängt von den Eisbergen, die der Gletscher produziert. Wer nach Grönland reist, kommt in der Regel nach Ilulissat. Ilulissat, das bedeutet übersetzt Land der Eisberge. 31.000 der 100.000 Touristinnen und Touristen, die 2019 nach Grönland kamen, besuchten Ilulissat. 

Die Eisberge im Eisfjord von Ilulissat sind in allen Formen und Größen zu finden – und unterscheiden sich auch in der Farbe.

Der Eisfjord zieht viele magisch an. Mit dem Boot geht es hinein. Nach wenigen Minuten ist nichts mehr zu hören als das Knistern des Eises und das Singen der Möwen. Das skulpturenartig wirkende Eis funkelt in verschiedenen Farben. Das Meer ist still, es gibt kaum Wellen – auch dann nicht, als in 20 Metern Entfernung drei Buckelwale ihre Kreise ziehen und die Flossen gen Himmel recken.

Doch dieses Naturwunder ist akut bedroht. Keine Region der Welt erwärmt sich durch den menschgemachten Klimawandel so stark wie die Arktis. Zu mehr als 80 Prozent ist Grönlands Oberfläche mit Eis bedeckt, doch es schmilzt schneller als überall sonst auf der Welt. „In den vergangenen 20 Jahren ist die Eisdecke hier 30 Kilometer zurückgegangen“, sagt Ilulissats Bürgermeister Palle Jeremiassen. „Man kann den Klimawandel spüren.“

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Und genau deshalb will man etwas tun, um das älteste Unesco-Welterbe Grönlands am Leben zu erhalten. Ein Besucherzentrum am Ortsrand von llulissat soll Touristinnen und Touristen nun die Magie des Eises, die bedrohliche Situation der Gletscherschmelze und den Lebensraum Eisfjord näherbringen.

Das im vergangenen Jahr eröffnete Icefjord Centre steht am Rand des Ilulissat-Eisfjords. Hier beginnen auch mehrere Wanderwege.

2021 eröffnete das Informationszentrum Kangiata Illorsua – Ilulissat Icefjord Centre. Es wurde im Rahmen einer dänisch-grönländischen Partnerschaft zwischen der Gemeinde Avannaata, der grönländischen Regierung und der philanthropischen Vereinigung Realdania gegründet.

Geplant wurde das Museum als kommerzielles Projekt – denn Grönlands wichtiger Touristenhotspot brachte nur wenig Geld. Doch man wollte vom Eisbergtourismus profitieren. Seit der Eröffnung zeigt sich, wie viel mehr der Holzbau ist: Er wurde zu einem Ort der Begegnung – für Touristinnen und Touristen wie für Einheimische.

„Wegen Corona kamen in den ersten Monaten nach der Eröffnung nur Einheimische“, sagt Elisabeth Momme, Leiterin des Icefjord Centre, „inzwischen sind wir froh, dass die lokale Bevölkerung die ersten Bilder nach draußen getragen hat.“ 12 000 Besucherinnen und Besucher kamen im ersten Jahr, trotz Corona. Das Ziel sind etwa doppelt so viele.

Das Eis spielt in Ilulissat eine große Rolle. Nicht nur, dass es Touristinnen und Touristen aus aller Welt anzieht, es bestimmt auch den Lebensrhythmus der Einheimischen, die Transportwege, die Nahrungsmittel. Deshalb ist das Eis auch der zentrale Aspekt im Icefjord Centre, dem ersten von sechs geplanten Besucherzentren in Grönland.

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In der 400 Quadratmeter großen Ausstellung „Sermeq pillugu Oqaluttuaq – The Story of Ice“ begeben sich Besucherinnen und Besucher auf eine Reise durch die Zeit und die Geschichte des Eises. In nachgebauten Eiskristallen bekommen sie einen Einblick in das Leben im und am Fjord erzählt.

Noch immer dürfen rund 150 Eisbären in Grönland gejagt werden.

Sie lernen Eisbären, Robben, Wale kennen, die sich rund um die Diskobucht aufhalten, erfahren, welche Fischarten und Meerestiere vorkommen, welche Art von Eiskristallen es gibt, welchen Berufen die Menschen hier nachgehen. Auf einer beleuchteten Tafel lässt sich die Eisschmelze beobachten, jeder Knopfdruck bedeutet eine Reise in die Geschichte und zeigt, wie schnell das Eis vor Grönland zurückgeht.

Ein Film erzählt ganz ohne Worte die Geschichte einer Eisflocke, die vom Himmel fällt, Teil des riesigen Eisschilds von Grönland wird – und schließlich schmelzend in der Baffin Bay endet. In einem Nebenraum sind die Geräusche rund um verschiedene Gletscher des Landes zu hören, komprimiert, man hört dem Eis quasi beim Schmelzen zu, während Möwen singen und der Wind weht.

Kurze Videos machen die Ausstellung im Icefjord Centre in Ilulissat besonders – vor allem, weil sie in Eiskristallen zu sehen sind.

Und natürlich gibt es Eis zu sehen, zum Beispiel das des Sermeq-Kujalleq-Gletschers, der den Eisfjord speist. In geschützten Röhren wird es ausgestellt, sodass Besucherinnen und Besucher aus der Nähe die Struktur, die Farben, die Formen des bis zu 250 000 Jahre alten Naturschatzes beobachten können. „Die Ausstellung präsentiert die Fakten, damit die Menschen verstehen können, was gerade passiert und dass sich die Gletscherschmelze nicht leugnen lässt“, sagt Momme, selbst gebürtige Grönländerin.

Die Architektur des Museums, das an die Form einer tieffliegenden Schneeeule erinnern soll und von der dänischen Architektin Dorte Mandrup gestaltet wurde, fügt sich in die Landschaft ein. Auf dem Holzdach kann man spazieren gehen, und in der Ferne ragen die Eisberge des Eisfjords in die Höhe. Einheimische kommen, um Feste auf dem Dach zu feiern oder den Ausblick zu genießen. Touristinnen und Touristen kommen, um sich vom Dach aus auf einen der Wanderwege zu begeben, die zum Eisfjord und an andere bedeutende Orte der Inuitkultur in der Gegend führen.

Ein ausgebauter Wanderweg führt vom Besucherzentrum Icefjordcenter zum Unesco-Weltnaturerbe Eisfjord.

Die meisten wählen den Holzsteg zum Eisfjord. Die ersten Eisberge, die es weiter hinaus in die Diskobucht geschafft haben, sind in der Ferne zu sehen. Dann führt der Weg über Steine und Felsen etwas bergauf. Weiter unten sieht man nur noch Eis. Weißes, hellblaues, graues, schwarzes. Mal ist es höher, mal flacher, mal breiter, mal schmaler.

Außer Wanderungen und dem Besuch des Icefjord Centre stehen bei den meisten Ilulissat-Besucherinnen und Besuchern auch andere Aktivitäten auf dem Programm: Kajakfahrten zu den Eisbergen oder in Richtung Mitternachtssonne. Oder Ausflüge in die Diskobucht. Eine beliebte Route führt außerdem auf die andere Seite des Eisfjords, in die Siedlung Ilimanaq.

Ilimanaq ist ein bedeutender Ort des Walfangs. Der Name bedeutet Land der Erwartungen. Die Wale kommen hier dicht an die Küste heran, man kann sie von Land aus gut beobachten. Traditionell wird das Walfleisch gegessen, an die Schlittenhunde verfüttert, Haut und Knochen dienen als Material für Deko und Werkzeug.

Buckelwale kommen im Sommer in den Eisfjord – meistens zeigen sie nur ihre Flossen und springen nicht wie in wärmeren Gewässern durch die Luft.

Außer Landes gebracht werden darf Walfleisch nicht, aber es wird in Ilimanaqs derzeit einzigem Restaurant serviert. Zwei Michelin-Sterne hat das eigentlich auf den Faröern angesiedelte Restaurant Koks. Zwei Jahre lang empfängt es nun aber – zumindest im Sommer – in Ilimanaq Gäste.

Und zwar in einem der ältesten Gebäude Grönlands: dem von Missionar Poul Egede 1751 gebauten Administrationshaus, von dem aus das Meer mit Eisschollen darauf zu sehen ist. Es gehört zu der einzigen Unterkunft in Ilimanaq, einer Lodge mit kleinen Bungalows auf den Klippen.

Formationen aus Eis prägen die Landschaft rund um die Diskobucht.

Wie auch in Ilulissat spielt sich das touristische Leben rund um den Eisfjord und die Gletscher ab. An jeder Ecke ist Hundegebell zu hören – von den zahlreichen Schlittenhunden. In Ilimanaq leben mehr dieser Tiere als Menschen. Bis zu 14 Hunde braucht es, um einen Schlitten zu ziehen.

Während viele Reisende die Tiere am liebsten knuddeln würden, warnen Schilder davor: Es handelt sich um Arbeitstiere. Im Sommer, bei bis zu 15 Grad Celsius, ist ihnen zu warm. Sie warten auf den Winter, auf den Schnee, wenn es kühler wird und sie aktiv werden können.

Während im Winter Hundeschlitten und Schneescooter Einheimische sowie Touristinnen und Touristen transportieren, sind es im Sommer Boote und Helikopter. Wer von Ilulissat nach Ilimanaq fährt oder fliegt, hat dadurch eine der spektakulärsten Reisen überhaupt, vorbei am Eisfjord, zwischen den Eisbergen hindurch.

Vorbei am ewigen Eis, das vielleicht gar nicht so ewig ist.

Wissenswertes zu deiner Reise nach Grönland: 

  • Anreise und Einreise: Derzeit gibt es nur internationale Flugverbindungen über Reykjavik (Island) nach Ilulissat oder über Kopenhagen (Dänemark) nach Kangerlussaq. Da Grönland kein Teil der EU ist, benötigen EU-Bürgerinnen und EU-Bürger einen Reisepass zur Einreise. Ein Visum ist für touristische Besuche nicht notwendig.
  • Beste Reisezeit: Abhängig von den geplanten Aktivitäten. Die Hauptsaison liegt zwischen Juni und August, dann ist es 24 Stunden hell und es liegt in den touristischen Gebieten rund um Ilulissat, Nuuk und Sisimut kein Schnee. Wer lieber Polarlichter sehen und mit dem Hundeschlitten fahren möchte, sollte die Grönland-Reise in den Herbst oder ins Frühjahr verlegen. Während der Polarnacht vom 24. Oktober bis 17. Februar ist die Sonne in Grönland nicht zu sehen.
  • Sehenswürdigkeiten: Touristisches Highlight ist der Eisfjord in Ilulissat. Im Icefjordcenter in Ilulissat erhalten Reisende erste Einblicke, hier starten auch Wanderungen. Bootsfahrten, Kajak-Touren und Whale Watching im Eisfjord sind beliebt. Auf der anderen Seite des Eisfjord findet sich Ilimanaq mit dem Michelin-Sterne-Restaurant Koks, das noch bis zum Herbst 2023 in Grönland gastiert.
  • Rumkommen: Die einzelnen Siedlungen und Städte Grönlands sind nicht über Straßen miteinander verbunden. Als Transportmittel gibt es kleinere Flugzeuge, Helikopter, Boote und im Winter Schneescooter und Hundeschlitten.
  • Währung: Dänische Kronen; Kreditkartenzahlung weit verbreitet
  • Sicherheit: Das Auswärtige Amt rät von Individualreisen außerhalb der Städte ab, da aufgrund des extremen Klimas und der vielen unzugänglichen Gebiete eine Rettung im Notfall nicht garantiert werden kann.