Wenn das Meer sich gurgelnd und gluckernd zurückzieht, kommt an der Küste der Bretagne ein ganz besonderer Schatz zum Vorschein. Er wächst auf dem Meeresboden, klammert sich an Felsen und Steine. Sein Farbspektrum reicht vom grellen Hellgrün über ein rötliches Dunkelorange bis zum gelblichen Braun und manchmal sogar bis zu einem schwärzlichen Blau.

Mal wirkt er fast fusselig, mal feingliedrig, filigran und beinahe durchscheinend dünn und mal so dick und dicht, als könne niemals ein Lichtstrahl seine Fasern durchbrechen. Wenn man genau hinschaut, könnte man meinen, das Meer habe auf seinem Rückzug ein Gemälde hinterlassen, um Betrachter für die Zeit seiner Abwesenheit zu entschädigen. Ein Gemälde aus Algen.

Wenn sich bei Ebbe das Wasser weit zurückgezogen hat, ist es leicht, im Watt der Bretagne Algen zu sammeln, die manchmal fast wie Kunstwerke wirken.

Zum Algenfischen geht's in Watt

Doch anders als in einer Galerie oder einem Museum ist hier im Watt Anfassen erlaubt. Und das lassen sich viele Franzosen und Französinnen nicht zweimal sagen. Sie kommen zur pêche à pied, dem Fischen zu Fuß. Dabei landen heutzutage immer häufiger auch Algen in den mitgebrachten Eimern, Körben und Tüten – zum Beispiel bei Pauline Abernot.


Die 34-Jährige bietet in Plouguerneau, 20 Kilometer nördlich von Brest im Département Finistère, Führungen durchs Watt an. Vom Port de Koréjou geht es direkt in die kleine Hafenbucht. „Vor der Küste der Bretagne wachsen 800 unterschiedliche Algenarten“, verrät die Expertin.

Aktuelle Deals

Golfstrom schafft ideale Bedingungen

Das hat einen Grund: Das Meer in der Bretagne bietet beste Bedingungen für die Pflanze. Wegen des Golfstroms liegt die Wassertemperatur ganzjährig bei acht bis 18 Grad Celsius. Der große Tidenhub tauscht das Wasser ständig aus. Deshalb ist es sehr klar, und die Algen bekommen viel Licht. „Außerdem gibt es hier viele Felsen, und Algen halten sich gern an etwas fest“, sagt Abernot.

Bei Touren mit der Bretonin Pauline Abernot erfahren Reisende viel Wissenswertes über die Algen.


Schon nach wenigen Metern hat sie an einem dieser Felsen die erste Pflanze entdeckt, schneidet ein Stück davon ab und bietet es zum Probieren an. „Jede Alge ist essbar, es gibt keine giftigen“, sagt die Expertin. Und sie gibt auch gleich einen wichtigen Tipp: „Algen sind frisch, wenn sie noch direkt an der Pflanze sind und nicht schon im Wasser treiben. Am besten erntet man sie mit einer Schere, dann kann die Alge nachwachsen.“

Meersalat – muss man mögen

Die gritzegrüne Alge, die wir probieren, heißt Meersalat und sieht auch so aus – auch wenn sie ein wenig welk wirkt. Sie schmeckt ziemlich nach Meer. Das muss man mögen. Als Nächstes streckt uns die Expertin ein Stück eher mattgrünen Riementang entgegen. Der wird auch Meeresspaghetti genannt und macht seinem Namen optisch alle Ehre. Das Aroma ist nussig mit einem leicht bitteren Nachgeschmack.


Die Algen zu probieren kann nicht schaden – im Gegenteil. Längst werden sie als neues Superfood gehandelt. Denn sie enthalten viele wichtige Nährstoffe wie Kalzium, Magnesium, Kalium, Zink, Eisen (siebenmal mehr als Spinat!) und Vitamine. Das haben natürlich auch die Nahrungsmittel-, die Kosmetik- und die Pharmaindustrie entdeckt.

Algen sind wichtiger Wirtschaftsfaktor

Einst vor allem Düngemittel in der Landwirtschaft, sind Algen für die Bretagne, die der größte Algenproduzent Europas ist, längst ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Rund 75.000 Tonnen werden jährlich mit Booten geerntet und immerhin bis zu 5000 Tonnen zu Fuß. Deshalb gelten ähnlich wie beim Fischfang auch für die Algenfischer bestimmte Regeln.

Weiterlesen nach der Anzeige

Anzeige

Algenfischer ernten mit dem Scoubidou, einer Art drehbaren Förderschraube, Algen vor der Küste der Bretagne.

Die Boote, die mit einem sogenannten Scoubidou, einer Art drehbaren Förderschraube, Algen in der Tiefe ernten, dürfen zum Beispiel nur einmal pro Tag aufs Meer hinausfahren. 79 Unternehmen mit rund 150 Algenfischerinnen und -fischern in der Bretagne haben dafür eine Lizenz.

Algenmuseum klärt über Geschichte auf

Das und jede Menge mehr über die Geschichte der Algen in der Bretagne und ihre Verwendung erfahren Reisende im ebenfalls in Plouguerneau gelegenen Algenmuseum, dem Écomusée des Goémoniers. Im kleinen Souvenirshop sind hier außerdem Produkte mit Algen erhältlich – von Kosmetik bis Feinkost.

Im Algenmuseum in Plouguerneau erfahren Besucherinnen und Besucher viel Wissenswertes über die vielseitigen Pflanzen aus dem Meer.


Auch viele Restaurants der Region verarbeiten Algen in ihren Gerichten. Zum Beispiel Maison Legris in Plouguerneau. Hier stehen außer Austern und Muscheln verschiedene Algentartars in der Speisekarte – etwa mit Kürbis und Kastanie oder mit Feige und Honig. Und die schmecken, serviert mit ein paar Scheiben knackigem Baguette, gleich noch mal so gut, wenn man einen der Plätze auf der Terrasse ergattert, von der aus man die Bucht bestens im Blick hat.

Größtes Algenfeld Europas im Mer d'Iroise

Beste Aussichten bieten sich auch am weiter südwestlich gelegenen Mer d’Iroise. Das Seegebiet erstreckt sich von der Insel Ouessant bis zur Île-de-Sein. Hier befindet sich das größte Algenfeld Europas. Das lässt sich am besten mit dem Boot erkunden. Christel und Lucky Péron bieten Touren in den Meeresnaturpark Iroise an. Los geht es im kleinen Fischerei- und Fährhafen von Le Conquet an der Côte des Abers – heute in Richtung der Inseln Molène und Ouessant.
 

Plötzlich schwimmen Delfine vorbei

Der Küstenabschnitt ist besonders felsig. Bei der Fahrt mit dem Zodiac ist Vorsicht gefragt. Gut, dass sich die beiden Pérons hier so gut auskennen. Deshalb wissen sie auch genau, wo sie am besten nach Delfinen und anderen Meeresbewohnerinnen und -bewohnern Ausschau halten müssen. Es dauert keine Viertelstunde, bis Christel Péron die ersten Tiere im Wasser erspäht. Die großen Tümmler haben sogar ein Jungtier bei sich.

Christel und Lucky Péron bieten Touren in den Meeresnaturpark Iroise vor der Küste der Bretagne an.


Weiter geht’s zur Landspitze Saint-Mathieu. Hier steht nicht nur ein eindrucksvoller Leuchtturm, sondern auch die Ruine einer alten Abtei. Nachdem alle an Bord des Bootes ein Erinnerungsfoto gemacht haben, fahren wir in Richtung des Ouessant-Archipels, dem westlichsten Punkt Frankreichs, etwa 30 Kilometer von der Landspitze entfernt.

Die Strecke führt an mehreren winzigen Inseln vorbei. Auf den Felsen, die aus dem Meer ragen, haben es sich hier Kegelrobben bequem gemacht. „Die Kegelrobben schlafen übrigens senkrecht, dabei halten sie sich in den Algen fest“, verrät die 58-Jährige.

Der Meeresnaturpark Iroise ist sehr beliebt bei Kegelrobben, die es sich gern auf den zahlreichen Felsen bequem machen.

Insel Molène zu Fuß erkunden

Schließlich legt das Zodiac im kleinen Hafen der Insel Molène an. In zwei Stunden soll es weitergehen. Genug Zeit, um das gerade einmal 1.000 Meter lange und 850 Meter breite Stück Land zu erkunden. Nicht einmal 170 Menschen leben auf Molène.

Auf einem vier Kilometer langen Rundweg kann man die Insel, die übrigens Teil eines Biosphärenreservats der Unesco ist, zu Fuß erkunden. Oder man lässt sich einfach durch die wenigen, schmalen Straßen treiben und legt vielleicht eine Mittagspause im Inselrestaurant Au Vent des Îles ein. Hier steht unter anderem die Saucisse de Molène auf der Karte – eine Wurst, die über Algen geräuchert wurde.

Höllenleuchtturm steht mitten im Meer

Frisch gestärkt kann es dann wieder aufs Meer zurück gehen. Hier wartet noch ein weiterer Höhepunkt: Der Leuchtturm Les Pierres Noires. Er markiert die Einfahrt in die Bucht von Brest und gehört zu den sogenannten Höllenleuchttürmen – so bezeichnen Leuchtturmwärter in der Bretagne jene Türme, die auf einem Felsen mitten im Meer stehen, umtost vom wilden Wasser. Er wurde 1871 in Betrieb genommen. Seit 1992 ist er automatisiert und nicht mehr bewohnt.

Der berüchtigte Leuchtturm Les Pierres Noires markiert die Einfahrt in die Bucht von Brest.


Schließlich steuert Lucky Péron wieder den Hafen von Le Conquet an. Die Strömung ist stärker geworden. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich das Wasser zurückzieht, es wieder anfängt zu gurgeln und zu gluckern – und schließlich wieder die Zeit der Algensammler beginnt.

Tipps für deine Reise in die Bretagne

Anreise: Mit dem Zug oder dem Flugzeug nach Paris und dann weiter nach Brest. Alternativ mit dem Auto. In der Bretagne gibt es keine mautpflichtigen Autobahnen.

Beste Reisezeit: Das Klima in der Bretagne ist eher mild, wegen der Gezeiten kann sich das Wetter schnell ändern. Die beste Reisezeit ist von Mai bis Ende September.

Attraktionen:Écomusée des Goémoniers et de l’Algue: 4 stread Kenan Uhella, Plouguerneau. Die Öffnungszeiten variieren. Vom 14. Juni bis 26. September: dienstags bis sonntags 14 bis 18 Uhr. Eintritt: 5 Euro.
Archipel Excursions: Christel und Lucky Péron bieten verschiedene Touren im Meeresnaturpark Iroise mit dem Zodiac an. Die ganztägige Tour Journée Molène ist für Erwachsene für 65 Euro, für Kinder für 45 Euro buchbar.

Essen: Maison Legris: Spezialist für Meeresfrüchte, 20 Kastell Ac‘h – Lilia, Plouguerneau. Geöffnet: dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr.

Die Reise wurde unterstützt von Tourisme Bretagne. Über Auswahl und Ausrichtung der Inhalte entscheidet allein die Redaktion.