Couchsurfing im Flüchtlingslager: Diese Frau reist nach Kakuma
Die Österreicherin Michaela Gruber ist gern abseits der Touristenpfade unterwegs. Derzeit weilt sie in Kenia – und ist per Couchsurfing im größten Flüchtlingslager des Landes, Kakuma, gelandet. Sie berichtet von Hitze, Not und Partys.
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Es ist heiß, weit über 40 Grad, die Sonne scheint ohne Erbarmen auf das trockene Gebiet im Nordwesten von Kenia an der Grenze zu Uganda und dem Südsudan. Ein paar Esel ziehen durch die Straßen, auch sie geplagt von der Hitze. Und in einem Sammeltaxi mit fünf Sitzen, umgeben von zwölf anderen Personen und zwei Ziegen, sitzt Michaela Gruber aus Österreich. 90 Minuten dauert die Fahrt von Lodwar westlich des Turkana-Sees nach Kakuma, ihrem Zielort.
Eine Polizeisperre muss das Auto überwinden, um Kakuma zu erreichen. Normalerweise werden hier Pässe kontrolliert und es wird gefragt, was man so vorhat in dieser Wüste, die nicht dafür gemacht ist, dass Menschen sich dauerhaft niederlassen. Michaela hätte lügen müssen – denn Touristinnen und Touristen dürfen nicht nach Kakuma.
Kakuma in Kenia ist eines der größten Flüchtlingslager der Welt.
Michaela hat Glück, der Fahrer und der Polizist, sie kennen sich. Sie reden eine Weile, lachen, quatschen. Sie sprechen auch über sie, das hört sie, denn immer wieder fällt das Wort „Mzungu“, Kisuaheli für weiße Menschen. Wahrscheinlich, glaubt die Österreicherin, dachten sie, sie sei von einer Hilfsorganisation. Sie dürfen weiterfahren.
Michaela Gruber reist an Orte, die nicht im Reiseführer stehen
Michaela Gruber ist gern abseits der Touristenpfade unterwegs. Wenn sie reist, besucht sie selten Hotels, sondern ist häufig zu Gast bei Locals. Sie hat in Lehmhütten gehaust und auf Matratzen geschlafen, in Gebäuden ohne fließend Wasser oder sanitäre Anlagen. Über ihre Erfahrungen schreibt sie auf ihrem Blog „Michi um die Welt“. „Ich liebe es, an abgelegenere Orte zu reisen, an Orte, die nicht im Reiseführer stehen.“
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Seit November ist sie in Kenia, mehrere Monate verbringt sie in dem ostafrikanischen Land. Und vor allem der untouristische Nordwesten hat sie gereizt, der Distrikt, in dem die Turkana zu Hause sind. Also suchte sie nach Couchsurfing-Gastgebern. In Lodwar kam sie bei Missionaren unter, dann fand sie einen weiteren Gastgeber: Jonathan. Was Michaela nicht wusste: Jonathan ist ein kongolesischer Geflüchteter in Kakuma.
In Kakuma leben 100.000 bis 280.000 Menschen.
Michaela wusste nicht, dass ihr Couchsurfing-Gastgeber ein Geflüchteter ist
„Ich wusste nicht, dass Kakuma ein Flüchtlingslager ist“, erzählt die 33-Jährige. „Als ich davon erfahren habe, fand ich es umso spannender.“ Kakuma, das ist ein riesiges Flüchtlingslager mit, je nach Angaben, 100.000 bis 280.000 Menschen, aber auch eine kenianische Stadt. „Ich wusste nicht, dass mein Gastgeber Flüchtling ist, ich dachte, er arbeite vielleicht für eine Nichtregierungsorganisation“, sagt die Österreicherin, die in der Schweiz lebt. „Richtig klar wurde es mir erst, als ich dort angekommen bin.“
Gegründet wurde das Flüchtlingscamp Kakuma 1992 für rund 30.000 Menschen, doch die Anzahl wurde schnell überschritten. Bis zu einer halben Million Menschen sollen zeitweise hier gelebt haben, viele aus dem Südsudan, dem Sudan und der Demokratischen Republik Kongo. Einer jener, die seit acht Jahren hier Unterschlupf gefunden haben: Michaelas Gastgeber Jonathan.
Zwei Frauen in traditioneller Kleidung der Turkana, die außerhalb des Flüchtlingslagers leben.
Am Busbahnhof von Kakuma, dem kenianischen Ort außerhalb des Flüchtlingslagers, wollte er sie abholen, doch als sie ankam, war er nicht da, erzählt die Krankenschwester, die jedes Jahr mehrere Monate zum Reisen freigestellt ist. „Ich habe in der Nähe einen bewaffneten Mann gesehen, ich hab dann seine Nähe gesucht, um dort zu warten. Er hat gleich gesagt, dass ich mich zu ihm in den Schatten setzen soll, bis Jonathan kommt.“
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Reisen im Flüchtlingslager: Nur stundenweise Strom und fließend Wasser
Dann kam das Moped mit Jonathan darauf – und der Weg führte direkt ans Flüchtlingslager. Wer im Lager lebt, bekommt kostenfreie Zelte oder Wellblechhütten. Da es keine soziale Versorgung gibt, ist in Kakuma wie in vielen anderen afrikanischen Flüchtlingslagern eine eigene Infrastruktur gewachsen. Menschen verkaufen Dienstleistungen oder Waren, bauen sich einen Shop auf, machen sich selbstständig. Es ist mehr ein Slum als das, was man sich in Deutschland unter einem Flüchtlingslager vorstellt.
Wer genug Geld verdient, kann sich eine Wellblechhütte auf der anderen Seite des Zauns mieten und hat minimal Vorteile, etwa stundenweise Strom oder einen eigenen Wasserhahn, der einige Stunden am Tag Wasser fließen lässt, das eher gelb als durchsichtig ist. Jonathan lebt inzwischen auf der anderen Seite des Zauns.
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Zum exklusiven GutscheinBesuch im Flüchtlingslager Kakuma: Die ganze Nachbarschaft teilt sich ein Klo
Michaela kam nicht bei Jonathan selbst unter, sondern bei dessen Nachbarin Abi, einer Kenianerin, die als Lehrerin in Kakuma arbeitet. „Abi hatte zwei Betten in einem recht kleinen Raum“, sagt sie. Und Abi hatte zeitweise Strom – dann konnte sogar der Ventilator genutzt werden, das Klo hingegen war weiter weg, die ganze Nachbarschaft nutzte das Loch im Boden mit etwas Sichtschutz. „Das war schon grenzwertig mit den Kakerlaken.“ Aber: „Abi hat sich megaliebst um mich gekümmert. Es haben sich alle gefreut, dass mal ein Tourist kommt. Ich wurde von der ganzen Nachbarschaft megafreundlich empfangen.“
Couchsurfing-Gastgeber Jonathan mit Freundin Fatma und Gast Michaela Gruber.
Morgens spazierten Michaela, Jonathan und seine Freunde durch das Flüchtlingslager, tranken Kaffee in einem äthiopischen Café oder besuchten ein Turkana-Dorf in der Nachbarschaft. Abends, erzählt die Weltenbummlerin, wanderten sie mal auf einen kleinen Berg zum Sonnenuntergang, fuhren mit dem Moped umher oder aßen in einem kongolesischen Restaurant. Auch eine Party hat sie gefeiert – Jonathans Freunde im Camp luden sie ein. „Mittags vegetiert man aufgrund der Hitze nur so vor sich hin, meistens haben wir morgens und abends etwas unternommen“, berichtet sie.
„Wenn man sonst in Kenia unterwegs ist, bekommt man als Tourist viel Aufmerksamkeit“, sagt die 33-Jährige, „da rufen alle immer: ‚Mzungu! Mzungu!‘ Im Camp waren die Leute freundlich und haben gegrüßt, aber niemand wollte was von mir. Das war sehr angenehm.“ Sicherheitsbedenken hatte sie nicht. „Ich habe ziemlich coole Leute kennengelernt, wir hatten spannende Gesprächsthemen. Ich habe diese Reise als extrem positiv erlebt.“
Die Hitze im Flüchtlingslager Kakuma machte Michaela Gruber zu schaffen
Aber Michaela Gruber weiß auch: „Nur weil ich in Kakuma war, heißt das nicht, dass ich weiß, wie es den Leuten da geht. Ich geh wieder raus und hab wieder mein normales Leben.“ Sie habe die Armut gesehen, die ausweglose Situation, in der viele Menschen sind. Die seit Jahren drohende Schließung des Flüchtlingslagers, das Nichtwissen, wohin es gehen soll, wenn Kakuma einmal wirklich nicht mehr ist. „Einige haben gefragt, ob ich in Europa einen Job für sie habe. Die Menschen suchen nach einem Weg, um rauszukommen.“
Spaziergang durch das Flüchtlingslager Kakuma.
Es waren in Kakuma aber nicht Armut oder mangelnde Hygiene, die ihr zu schaffen machten, es war die unerbittliche Hitze. Eigentlich wollte sie länger bleiben, doch nach drei Tagen verließ Michaela das Flüchtlingslager, denn: „Die Nächte waren schlimm. Man schwitzt nonstop.“ Ihr Moskitonetz bestand aus mehr Löchern als Netz, durch den vielen Schweiß wurden die Mücken angezogen. „Nach drei Tagen habe ich, auch körperlich, gemerkt, dass es mich mitnimmt. Das Klima hat mich fertiggemacht und ich hatte Angst, Malaria oder so zu bekommen.“ Selbst Abi stand nachts mehrfach auf und übergoss sich mit etwas Wasser, das sie tagsüber gesammelt hatte.
Michaela Gruber will sehen, erleben und verstehen, wie andere Menschen leben
Diese privilegierte Sicht ist Michaela bewusst: Sie suchte das anstrengende Leben, sie wollte mitleben, aber als es ihr nach drei Tagen an die Substanz ging, konnte sie zurück nach Nairobi fahren, während Jonathan und seine Freunde keine Wahl haben. Sie müssen in Kakuma bleiben, weil sie nirgendwo anerkannt sind und maximal tageweise ausreisen dürfen – wenn überhaupt.
„Viele Leute sagen: ,Wie kannst du dir die Armut ansehen?‘ Aber die Augen verschließen vor der Realität von anderen Menschen, das ist meines Erachtens Arroganz. Mir ist schon klar, dass ich nicht eine von ihnen bin, schon aufgrund meiner Hautfarbe steche ich heraus. Aber es hat mir das Gefühl gegeben, für ein paar Tage mitleben zu können und zu verstehen, unter welchen Bedingungen diese Menschen leben müssen.“
Angst vor dem Trip hatte Michaela, die seit 2015 regelmäßig auf längeren Reisen ist, nicht. Sie hat schon öfter Couchsurfing gemacht – und so viele Gastgeber in entlegenen Gebieten wie in Kenia, wo sie bis April bleiben wird, hat sie noch nie gefunden. Jonathan hatte zudem sehr gute Referenzen.
Couchsurfing im Flüchtlingslager: Eine Reise ganz ohne Luxus
Und da sie bis zu ihrer Ankunft nicht wirklich wusste, auf was sie sich da eingelassen hatte, hat sie auch über den kritisch betrachteten Elendstourismus nicht nachgedacht. „Ich hatte nicht viel Zeit, mir Gedanken darüber zu machen. Aber ich hatte kein schlechtes Gefühl dabei, für mich ist es spannend zu erleben, wie andere Menschen leben. Wir in Europa sind schon viel Luxus gewohnt“, sagt sie.
Die Österreicherin Michaela Gruber trifft eine Frau der Volksgruppe Turkana.
Sie sieht auch einen Unterschied: „Ich würde mich schrecklich fühlen, wenn ich in einer Tourigruppe durch ein Elendsviertel gejagt würde und die ganze Zeit Fotos machen würde.“ Bilder hat sie zwar auch gemacht, aber nur wenige – und nachdem sie gefragt hat.
Michaela sagt: „Mir ging es darum, mit Menschen zu sprechen, die kulturellen Unterschiede kennenzulernen und zu sehen, wie unterschiedlich Menschen leben. Wir haben so viele Vorurteile – und durch Gespräche merkt man schnell, wie cool die Leute eigentlich sind.“