Denkt man an die Toskana, dann hat man die Kultur, den Chianti-Wein, Städte wie Siena und Florenz, Pastellfarben, Olivenhaine und Zypressen im Abendlicht vor Augen. Und Hügel. Viele Hügel. Die wirklich schön anzusehen sind, die einem aber auch das Leben schwer machen können.

Vor allem, wenn man Urlaub mit einem Mountainbike macht, das noch ganz ohne Akku-Antrieb funktioniert.
Die Idee mich als leidlich trainierter Fahrradfahrer mit meinem rund 20 Jahre altem aber gut im Schuss befindlichen Rotwild-Mountainbike auf dem Weingut Borgio Argiano einzumieten, fand ich in Deutschland äußerst reizvoll. Idealerweise liegt es nur neun Kilometer von Siena entfernt. Aber auf einem Hügel.

Und all die toskanischen Steigungen lassen mich schnell ins Schwitzen kommen und dann die rasanten Abfahrten auf tückischen Schotterstraßen, lassen auch den „Angsschweiß“ fließen. Die Sonne tut ihr Übriges, aber ein leichter und steter Wind verschafft doch immer wieder Kühlung.

Kurze Pause. Um danach auf Schotterwegen und entlang der Weinreben und Olivenbäume das Chianti-Gebiet zu erradeln

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Ohne Akku Hügel rauf und runter

Die Toskana ist schon seit vielen Jahren eine der Sehnsuchtsorte für Urlaubsuchende, nicht nur für die Deutschen. 2019, also vor Corona, stand die Region mit rund 48 Millionen Übernachtungen auf Platz zwei in der italienischen Statistik. Die Zahlen sind danach in den Keller gegangen und längst nicht dort, wo es sich viele Touristiker wieder wünschen würden. Vor allem Chinesen und Amerikaner sind zur Zeit nur selten anzutreffen. Dennoch sind die Straßen und Plätze der touristischen Hotspots wie Siena tagsüber gut gefüllt.

Etwa auf dem Piazza del Compo, dem zentralen Platz in dieser Stadt. Hier reihen sich Restaurants an Restaurants, deren Plätze rund um die Uhr gut belegt sind. Und in denen man für überschaubares Geld eine gute Pizza oder leckere Nudeln bekommt und immer einen guten Espresso und Cappuccino. Wie eigentlich überall in der Toskana das kulinarische Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Und auch der Hauswein, vorzugsweise ein Chianti, schmeckt immer und tut weder dem Gaumen noch der Brieftasche weh.

Und wenn man Lust auf mehr hat und sich die Weinkarte geben lässt hat man eine Auswahl diverser Chianti-Weine, darunter manche, die bei internationalen Degustationen oder bei den berühmten Parker-Bewertungen Punkte und Preise abgeräumt haben.

Blick auf den Piazza del Compo in Siena, mit dem weithin sichtbaren „Torre del Mangia“.

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Aber zurück zum Platz. Dieser hat seine Berühmtheit nicht nur von den Gebäuden die ihn säumen, vor allem dem Palazzo Comunale und dem aus dem 14. Jahrhundert stammenden „Torre del Mangia“ dem 102 Meter hohen Turm, der das Stadtbild von Siena prägt. Zweimal im Jahr, im Juli und August, findet hier auf der Piazza das weltberühmte und härteste Pferderennen der Welt statt: Das „Palio di Siena“. Seit dem Mittelalter treten hier die 17 Contraden (Stadtteile) von Siena gegenseitig an, wobei im Rennen nur jeweils zehn der 17 Contraden zugelassen sind. Ausstaffiert sind Ross und Reiter mit den unverwechselbaren Farben ihres Stadtteils.

Mit einer halsbrecherischen Geschwindigkeit reiten sie um die Ehre des Besten, geht es im Oval des mittelalterlichen Platzes quasi um Alles. Angefeuert von Tausenden von Schaulustigen. Nur leider nicht im letzten und in diesem Jahr, beide Rennen wurden wegen Covid-19 abgesagt.

Dennoch ist der Palio überall in der Stadt spürbar, dafür sorgt das Merchandising aus dem Mittelalter: Keramikteller, mit den Farben und Wappen der Contraden versehen, sind in allen touristischen Shops und in allen erdenklichen Formen erhältlich. Nur Blöd, wenn man mit einem Fahrrad unterwegs ist und die Packtaschen vergessen hat. Runter und rauf geht es anschließend und wieder schweißtreibend zur eigenen Herberge auf dem Hügel.

Das Palio ist ein willkommenes Geschenk für Merchandising aller Art.

Die Toskana auf zwei Rädern erfahren

Auch sonst führt das Fahrradfahren dazu, Orte und Dinge zu entdecken, die in Reiseführern gar nicht oder eher beiläufig erwähnt werden. Etwa das Schloß Brolio, das seit 1141 im Besitztum des Barons Ricasoli ist. Eine mittelalterliche Burg, natürlich auf einem Hügel und am Fuße der Chianti-Berge, 530 Meter über den Meeresspiegel. Der Weg zur Burg hat eine 25 Prozent Steigung; für E-Biker, auch im gesetzten Alter und freundlich winkend, sicherlich kein Problem, alle anderen Biker kommen an ihre Grenzen.

Der beeindruckende Bau war im langen Konkurrenzkampf zwischen Florenz und Siena Florentiner Aussenposten und wurde im späten Mittelalter mehrfach eingenommen, niedergebrannt und stets wieder aufgebaut. Die letzten Kampfhandlungen fanden 1944 statt, als die Deutschen sich aus dem Chianti-Gebiet zurückzogen. Zwölf Tage lang griffen Alliierte die Burg mit Artilleriegeschossen an, Spuren davon sind heute noch in den Mauern zu sehen. Besichtigen kann man heute nur den Festungswall rund um die Burg, von dem man einen wunderbaren Blick auf die Landschaft inklusive zahlreicher Rebstöcke hat. Im Süden ragen bei gutem Wetter die Türme von Siena empor.

Blick auf das Schloß Brolio, seit 1141 im Privatbesitz

Das imposante Gebäude samt Wehrturm ist privat, hier wohnt besagter Baron samt Baroness und Kids. Im Eintrittspreis inbegriffen ist auch eine Weinprobe, denn der aktuelle Baron Ricasoli baut einen famosen Chianti-Wein an. Wein fließt anscheinend schon lange in den Adern der Familie. Sein Ur-Ur-Großvater Bettino Ricasoli wurde 1861 nicht nur erster Ministerpräsident des neu gegründeten Königreichs Italien. Er legte auch die Inhalte für den Chianti Classico fest, so wie wir ihn heute kennen: Vor allem die Sangiovese-Rebsorte gibt den Wein seinen Geschmack, dazu kommt noch ein kleiner Anteil Canaiolo, einer weiteren toskanischen Rebsorte.

25 Prozent Steigung heißen im Umkehrschluß übrigens eine schnelle und steile Rückfahrt auf gut gepflasterten Wegen. Mitunter wechselt Asphalt abrupt zu Schotter und Rennräder hätten jetzt eventuell ein Problem. Nicht mein geliebtes Rotwild-Mountainbike.

Bei 25% Steigung machen Radler schlapp und sehnen sich nach einem E-Bike.

Auf den Spuren des Chianti-Weins

In der Toskana gibt es kaum Radwege und die Straßen sind mitunter sehr schmal, deshalb muss man als Radfahrer immer auf den Verkehr aufpassen. Eine Fahrrad-App erleichtert einem dabei das Rad-Leben sehr, denn so kommt man auch auf den weniger befahrenen Nebenstrecken ans Ziel. Ich nutzte für meine Strecken Komoot. Ein grosser Vorteil dieser Wege; hier erradelt und erfährt man wirklich das Chianti-Gebiet: Endlose Steinmauern, die Rebstöcke und Olivenbäume eingrenzen. Grillenzirpen im Takt der Pedalen und immer wieder grandiose und fast schon kitschige Ausblicke auf eine wunderbare Gegend. Im Hintergrund, das Sinnbild für die Toskana: Eine Reihe von gradlinig stehenden Zypressen, die die historische Landschaft prägen.

Und ständig kommt man dabei abseits der Straßen an Weingütern vorbei, in denen man immer ein Gläschen probieren kann und die alle einen wohlschmeckenden und famosen Wein produzieren. Etwa beim Weingut „Vallepicciola“, das knapp 100 Hektar Rebgärten und weitere 165 Hektar Olivenhaine, Wiesen und Wälder besitzt. Gleich daneben liegt
„Tolaini“, das für die Gegend eine sehr kurze aber wunderbare Geschichte hat. Pier Luigi Tolaini wurde in Lucca, im östlichen Teil der Toskana geboren. Als 20jähriger wandert er nach Kanada aus, aber immer mit dem Traum, genug Geld zu verdienen, um einstmals wieder in seine Heimat zu kommen, um Wein anzubauen.

Beides ist ihm grandios gelungen. In über 40 Jahren baute Toalini das zweitgrößte Transport-Unternehmen in Nordamerika auf, was ihm die finanzielle Möglichkeit gab am südlichen Ende des Chianti-Gebietes, zwischen Siena und Castelnuovo Berardenga, zusammen mit seiner Tochter ein Weingut zu erwerben, um genau das zu tun, was er immer wollte: Einen großen Wein anzubauen, der in der jungen Vergangenheit des Weinguts schon zahlreiche Preise erworben hat.

Das offizielle Logo, das auf den Chianti-Weinen prangt


Eine Weintour auf dem Gut inklusive einem Weintasting kostet, wie auf vielen anderen Weingütern 25 Euro und die sind gut angelegt, wenn man etwas über Rebenkunden, Bodenbeschaffenheit und Produktion der Weine erfahren will. Christina von Toalini erklärt alles geduldig und voller Enthusiasmus, sie zeigt die Stahltanks,den Weinkeller, die Abfüllanlage, kredenzt Teller voller Käse und Schinken zur Weinprobe und füllt bei Wunsch die Gläser auf. Und natürlich kauft man den Wein, um ihn zu Haus allein oder mit Freunden zu genießen. Und um an seine nächste Radtour in der Toskana zu denken. Diesmal aber mit Akku.