Die geheime Küste: Reise an die Strände von Mississippi
Wo einst Hurrikan „Katrina“ wütete: Eine Reise an die weitestgehend einsamen Strände des US-Bundesstaates Mississippi, an den viertlängsten Fluss der Welt und in die Vergangenheit des Landes.
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Die Sonne hat den Asphalt kräftig aufgeheizt. Wer den Beach Boulevard, wie die gesamte Küstenstraße hier heißt, barfuß überquert, um zum Strand zu gehen, beeilt sich automatisch. Ein paar Autos muss man durchlassen, dann steht man in perfektem weißen Sand und staunt über die Leere. Es sind mehr Reiher da als Badegäste – obwohl die Reise noch vor der Corona-Pandemie stattfand.
Mit Mississippi verbindet man nicht unbedingt zuallererst Strandurlaub. Dass der US-Bundesstaat ein Strandleben hat, ist relativ unbekannt. Die Einheimischen nennen ihre Küste selbst „The Secret Coast“. Die geheime Küste. Der etwa 100 Kilometer lange Abschnitt am Golf von Mexiko ist eine wahre Entdeckung, denn dort findet man vielerorts das, wonach sich viele in den Ferien sehnen: Ruhe.
Ocean Springs gilt als Künstlergemeinde. Kein Wunder, wenn schon die Natur solche Bilder malt wie bei diesem Sonenuntergang.
Viele haben eine Hurrikan-Geschichte
In Bay St. Louis zum Beispiel. Fast jeder hier hat eine eigene „Katrina“-Geschichte. Nikki Moon lächelt, während sie ihre erzählt. In spektakulärer Art und Weise hat die heute 67-Jährige den Hurrikan überlebt, der 2005 nicht nur über New Orleans hereinbrach, sondern auch über weite Teile der Golfküste. Die Katastrophe, das wird in vielen Gesprächen klar, hat die Menschen stark geprägt.
„Katrina“ erreichte das Künstlerstädtchen am Morgen des 29. August. Trotz Behördenwarnungen war Moon geblieben, so wie die meisten ihrer Nachbarn. Sie wollte in ihrem Bed and Breakfast ausharren. Mit dem Kauf der Frühstückspension hatte sie sich einen Traum erfüllt. Das 1899 erbaute Haus direkt am Beach Boulevard hatte bisher allen Stürmen getrotzt, auch „Camille“ am 17. August 1969, dem bis dato heftigsten Hurrikan.
Nikki Moon hat 2005 Hurrikan „Katrina“ in einem Baum überlebt.
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„Das Wasser kam um 9.15 Uhr“, erzählt Moon. Der Sturm hob das Dach ihres Hauses ab, die Flutwelle riss den Rest mit sich. Gemeinsam mit zwei Freunden und ihrem Hund unter dem Arm, dem Scottish Terrier Maddy, rettete sie sich auf einen nahen Baum. „Vier Stunden klammerten wir uns an Stamm und Äste.“ Millionen Amerikaner erlebten die dramatischen Szenen mit, gefilmt von einem CNN-Team. Moon spürte den Herzschlag und die Angst ihres Hundes. Doch Maddy hielt still. „Das Tier wusste, worauf es ankommt.“
Durch „Katrina“ kamen in Mississippi 238 Menschen ums Leben. Tausende wurden obdachlos. Der Sturm zertrümmerte nicht nur Häuser, sondern auch Straßen und Brücken, fast die komplette küstennahe Infrastruktur. Nikki Moons Traum konnte er nicht zerstören. Sie arbeitete ein paar Jahre im nahen New Orleans. Dann sagte sie sich „Do it again!“ und kehrte zurück. Sie baute ihr Bed and Breakfast an gleicher Stelle wieder auf. Ihr neues Bay Town Inn eröffnete 2013.
Heute erinnern die Überreste des Baumes an den 29. August 2005. Die abgestorbene Eiche, der das Salzwasser stark zugesetzt hatte, ist ein Monument. Moon nennt sie „The Angel Tree“, also den Engelsbaum. Man blickt auf das Meer, sieht die wieder aufgebaute St. Louis Bay Bridge und die Baumruine. Für Moon ist sie ein Symbol der Hoffnung, des Glücks im Unglück und ihrer eigenen Durchhaltekraft.
Mississippi ist auch die Heimat des Blues
Bekannt ist Mississippi vor allem für Baumwollfelder und den Blues. Viele Blues-Erfinder wie Robert Johnson und Mississippi John Hurt oder Blues-Erneuerer wie B. B. King und Muddy Waters wurden im sogenannten Blues Delta im Norden Mississippis geboren. Auch Elvis Presley stammt von hier.
Der Norden des US-Bundesstaates Mississippi wird vielerorts durch Baumwollfelder geprägt.
Immer mehr Touristen kommen wegen dieses musikalischen Erbes und reisen auf dem Mississippi Blues Trail mit seinen mehr als 200 Blues-Orten. Andere interessieren sich für die US-Bürgerrechtsbewegung, die 1955 nach dem Mord an dem 14-jährigen Schwarzen Emmett Till in Money, Mississippi, erwachte.
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Civil Rights Museum nimmt mit in die Vergangenheit
Mississippi gilt als Ground Zero des Widerstandes gegen Rassenhass und Rassentrennung. Das Mississippi Civil Rights Museum in der Hauptstadt Jackson erzählt die Geschichten dieses Kampfes für ein neues Mississippi. Pamela Junior, die Direktorin, wünscht sich, dass jeder Schüler aus Mississippi wenigstens einmal ihr Museum besucht. Ohne die Vergangenheit zu kennen, verstehe man die Gegenwart nicht, sagt sie. „Jeder junge Amerikaner kann hier lernen, was ihn und sein Land geprägt hat.“
Süden ist bekannt für seine Shrimps
Vom Blues Delta schafft man es mit dem Auto in gut fünf Stunden nach Bay St. Louis oder in eine der anderen elf Küstenstädte. Es sind zwei völlig unterschiedliche Welten. Im Norden baut man Baumwolle an. Im Süden fischt man Shrimps. 70 Prozent der in den USA verzehrten Garnelen werden hier gefangen. „Nichts schmeckt so wie Mississippi-Shrimps“, sagen die Mississippians. Man kann die Delikatesse direkt am Kutter kaufen oder in einem der vielen neuen Restaurants probieren, die in den vergangenen Jahren aufgemacht haben, zum Beispiel im White Pillars in Biloxi, das der junge Spitzenkoch Austin Sumrall und seine Frau Tresse betreiben.
Der 32-Jährige kocht mit regionalen Zutaten. In vielen Kleinstädten in Mississippi, so heißt es, gebe es kein einziges Fast-Food-Restaurant. Man kocht wie zu Großmutters Zeiten und spricht darüber, als wäre es eine Neuerfindung. Wenn Sumrall sein Konzept der Frische und Vielfalt vorstellt, spürt man denselben Enthusiasmus, der auch aus Nikki Moon spricht. Die beiden ziehen ihr Ding durch. Eine Art „Katrina“-Angst bremse sie nicht, sagen beide. Die Menschen in dieser Gegend sind es gewohnt, mit der Hurrikangefahr zu leben.
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Zum exklusiven GutscheinOcean Springs ist ein Künstlerstädtchen
In Ocean Springs, einem Künstlerstädtchen, lernen wir das Werk von Walter Inglis Anderson kennen. Man hat dem 1965 gestorbenen Maler und Autor ein eigenes Museum gewidmet, das Walter Anderson Museum of Art. Dort ist das Fahrrad zu sehen, mit dem der Künstler von Mississippi aus Tausende Meilen weit gefahren ist. Er hat Touren bis nach Texas, Florida und New York unternommen, immer auf der Suche nach dem Licht und wohl auch nach Erleuchtung.
In Ocean Springs gibt das Walter Anderson Museum of Art einen Einblick in das Werk des Künstlers.
An der Museumsdecke hängt ein Ruderboot. Damit setzte er nach Horn Island über, eine Insel im Mississippi Sound, sein Refugium. Die Wandmalereien, die dort in einem kleinen Raum seines Ferienhauses entstanden, sind von Psalm 104, einer Hymne auf die Schöpfung, inspiriert. Man steht in dem nachgebauten Little Room, dem kleinen Raum, betrachtet die Bilder, die Blumen und Tiere, die Farben, die Helligkeit, die Naivität und kann erahnen, wie sehr sich Anderson, der einige Zeit in Nervenheilanstalten verbrachte, nach Klarheit gesehnt haben muss.
Mississippi River ist eine Lebensader
Ein Strandleben gibt es nicht nur am Golf von Mexiko, sondern auch am Mississippi River, zum Beispiel in Vicksburg. Dort fand 1863 eine vorentscheidende Schlacht im Civil War, dem amerikanischen Bürgerkrieg, statt. Die Armee der Nordstaaten gewann dabei die Kontrolle über den Fluss. Wir treffen John Anton Ruskey am Ufer. Der Kanu-Guide, der in den Rocky Mountains groß geworden ist, schwärmt für den Ol’ Man River, seit er als Kind „Die Abenteuer des Tom Sawyer“ gelesen hat.
„Der Fluss ist frei, er gehört niemandem“: John Ruskey, Kanu-Guide, Flussphilosoph und Bluesmusiker.
1982, nach der Highschool, ist er das erste Mal auf dem Mississippi gepaddelt. Seine Quapaw Canoe Company gründete er Ende der Neunzigerjahre. Seine Kanus baut er selbst. Er ist ein Mississippi-Hippie und ein Tausendsassa. Der 56-Jährige ist nicht nur Fremdenführer, sondern auch Musiker, Maler und eine Art Flussphilosoph, denn er sagt Sätze wie „Der Fluss ist frei, er gehört niemandem“ und „Der Fluss ist wie das Leben, immer in Bewegung“.
Der Fluss ist wie das Leben, immer in Bewegung.
Die Fahrt von einem Ufer zum anderen dauert eine Dreiviertelstunde. Eindrucksvoller kann man die Breite des viertlängsten Flusses der Welt kaum erfahren.
Der Mississippi River lässt sich gut bei einer Tour mit dem Kanu erkunden.
Am späten Vormittag steuern wir einen Strand an, wo uns Ruskey mit Orangen und Melonen versorgt. Wir spielen Frisbee mit einem Bier in der Hand, und wir schwimmen im Mississippi. Alligatoren gelten als scheue Tiere. Wäre einer da, man könnte ihn nicht sehen in diesem schlammfarbenen Wasser.
Ruskey ist als Erster im Fluss. Er bewegt sich wie ein Delfin. Hier scheint er in seinem Element zu sein. Hier scheint er sich frei zu fühlen. Man glaubt ihm jedes Wort, wenn er sagt: „Der Mississippi ist meine Verbindung zur Welt.“
Tipps für deine Reise nach Mississippi
Anreise: Direktflüge aus Deutschland nach Mississippi gibt es nicht. Die Flughäfen in der Hauptstadt Jackson, in Gulfport an der Golfküste oder Memphis im Nachbarstaat Tennessee direkt an der Grenze sind mit einmaligem Umsteigen erreichbar.
Beste Reisezeit: Juli und August sind die heißesten Monate in Mississippi, häufig steigt die Temperatur auf mehr als 40 Grad Celsius, auch die Luftfeuchtigkeit ist sehr hoch. Während der restlichen Monate herrscht meist milderes Wetter. Im Frühling und Herbst ist es am angenehmsten. Im Winter sinkt die Temperatur selten unter den Gefrierpunkt.
Essen: White Pillars Restaurant and Lounge, 1696 Beach Boulevard, Biloxi. Feines Farm-to-Table-Dining.
biloxiwhitepillars.com
Attraktionen:Walter Anderson Museum of Art, 510 Washington Ave, Ocean Springs.
Aktivitäten: Die Quapaw Canoe Company bietet verschiedene Touren auf dem Mississippi an – mit Verpflegung und Shuttleservice.
Die Reise wurde unterstützt vom Verkehrsbüro Memphis & Mississippi. Über Auswahl und Ausrichtung der Inhalte entscheidet allein die Redaktion.