Der Flughafen Hongkong ist einer der innovativsten der Welt. Der britische Architekt Norman Foster schuf das 1998 eröffnete Gebäude vor allem nach einem Grundsatz: Die gesamte Infrastruktur – Kabel, Rohre, Züge, Gepäckbänder – sollte unter der Erde verlaufen. Wo immer möglich, wollte er natürliches Licht einfallen lassen, nichts sollte dabei an der Decke stören.

Damals war das nichts Geringeres als eine Revolution der Flughafenarchitektur – heute ist es längst hundertfach kopiert. In diesen Tagen macht der Flughafen Hongkong einmal mehr von sich reden: Als erster Airport der Welt begann er im April damit, alle ankommenden Fluggäste einem Corona-Test zu unterziehen. Bis zu zwölf Stunden dauert es, bis das Ergebnis vorliegt, erst dann dürfen die Reisenden das Gelände verlassen – sofern der Test negativ ausfällt. 

Wird auch dieses Vorbild Nachahmer finden und die Nationen der Welt vor einreisenden Superspreadern schützen? Der Flughafen Wien zumindest hat schon einmal nachgezogen; für 190 Euro können sich Fluggäste dort freiwillig testen lassen und bei einem negativen Befund die bislang geltende Quarantäne umgehen. Reykjavík in Island folgt im Juni.

Corona-Krise verändert das Reisen nachhaltig

Fest steht: Das Reisen wird auf absehbare Zeit nicht so funktionieren wie vor Corona. Fest steht aber auch: Wenn Flugzeuge nicht bald wieder häufiger abheben, wenn Hotels nicht zu normaler Auslastung zurückfinden, wenn die Menschen nicht wieder beginnen, Urlaube zu buchen, wird die Branche von einer beispiellosen Pleitewelle überrollt werden. 

„Covid-19 bedroht die weltweite Tourismusindustrie und stellt sie vor eine gewaltige Zerreißprobe“, verdeutlicht es Peter Tomasch, Europa-PR-Manager von Singapore Airlines. „Airlines, Kreuzfahrtschiffe, Hotels und damit verbunden die Gastronomie, sie alle stehen vor dem Abgrund.“ Singapore Airlines etwa transportierte im April weltweit weniger Gäste pro Tag als noch vor Kurzem in einem einzigen Flugzeug auf einer einzigen Strecke. 

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Erste Airlines melden Insolvenz an

Erste Opfer gab es bereits in der Branche: Die britische Airline Flybe und die australische Virgin Australia, beide bereits zuvor finanziell angeschlagen, mussten wegen des coronabedingten Groundings Insolvenz anmelden. Keine Einzelfälle: Auch Reisebüros sind finanziell hart getroffen, genauso Tourguides, Reiseveranstalter, Hotels, Buchungsplattformen, Busunternehmen, Bahnen. Selbst der Zeitschriftenladen am Flughafen macht fast keinen Umsatz mehr, von den Flughäfen selbst ganz zu schweigen.

Insgesamt 4,5 Millionen Flüge sind seit dem Beginn der Krise in diesem Jahr weltweit gestrichen worden, rechnet die International Air Transport Association (IATA) vor, der Weltdachverband der Fluggesellschaften. Das entspreche einem Umsatzminus von 314 Milliarden US-Dollar. 

Reiseverkehr normalisiert sich erst Anfang 2022

Das Kompetenzzentrum Tourismus analysiert im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums die Aussichten der deutschen Reisebranche. In seinem jüngsten „Recovery Check“ erwartet es, dass sich der Inlandstourismus in Deutschland deutlich früher erholt als das internationale Reisen. Bereits im August könnte eine Phase der Lockerung innerhalb Deutschlands abgeschlossen sein. Und jenseits der deutschen Grenzen?

Der Report bleibt skeptisch: „Auf globaler Ebene rechnen wir aktuell für die Mehrheit der Zielgebiete erst in den Osterferien 2021 mit einer deutlichen Entspannung der Situation“, heißt es in dem Papier. Und normalisieren werde sich der internationale Reiseverkehr wohl erst von Januar 2022 an.

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Tui streicht 8000 Stellen weltweit

Die lange Wartezeit wird weitreichende Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung haben: „Umsätze auf dem Niveau des Basisjahres 2019 werden hier sogar erst im Frühjahr 2023 erwartet.“ Das größte Touristikunternehmen Europas, die Tui, kündigte in der vergangenen Woche an, weltweit rund 8.000 Stellen zu streichen.

Bei Tui Deutschland zeigt man sich dennoch leicht optimistisch: „Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich relativ schnell wieder eine Normalisierung einstellt“, sagt Aage Dünhaupt, Leiter der Unternehmenskommunikation bei Tui Deutschland und Tuifly. „In dem Moment, in dem wir Bilder von Menschen sehen, die am Strand liegen, wird das ein Motivationsfaktor sein.“ 

„Reiselust und Fernweh werden stärker sein als jedes Virus“

In der Tat: Naturkatastrophen oder Anschläge sorgen nur für einen vorübergehenden Rückgang im Tourismus – spätestens über den Preis gelang es bislang fast immer, die Nachfrage wieder anzukurbeln. „Reiselust und Fernweh werden stärker sein als jedes Virus“, glaubt auch der Tourismusexperte Dirk Rogl, Politik- und Wirtschaftsberater. Gleiches gelte für das weltweite Angebot an Hotelbetten und Flugzeugsitzen, selbst wenn in dem ein oder anderen Fall insolvenzbedingt der Eigentümer wechseln dürfte. 

Unter Auflagen werde der Flugverkehr innerhalb Europas spätestens Ende Juni wieder nennenswert zunehmen, prognostiziert Torsten Kirstges, Professor für Tourismuswirtschaft an der Jade-Hochschule Wilhelmshaven. Und wenn nicht? „Dann können viele Airlines einpacken.“ 

Zahlreiche Airlines bleiben wegen der Corona-Krise am Boden. (Symbolbild)

Ob ein Corona-Test für jeden Fluggast wirklich das Mittel der Wahl sein kann, ist derzeit mehr als fraglich. Die Airlines arbeiten an anderen  Hygienekonzepten: Einzelne Linien wie die Lufthansa kündigten an, nur noch Fluggäste mit Mundschutz an Bord zu lassen. Damit kommt die Fluggesellschaft einer Empfehlung der IATA nach.

Abstandsregeln gelten auch in Flugzeugen

Die Organisation schlägt in einem Papier weitere Maßnahmen vor – etwa die Temperaturkontrolle von Passagieren, das Reduzieren der Kontakte beim Ein- und Aussteigen, Bewegungseinschränkungen in der Kabine während des Fluges sowie vereinfachte Cateringverfahren, damit die Besatzung weniger oft mit Passagieren zusammentrifft. Für Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) aber ist vor allem eines wichtig: Abstand. Der müsse nicht nur am Flughafen gewährleistet sein, erklärte er jüngst im „Deutschlandfunk“, sondern auch im Flugzeug selbst.

Die Branche wird indes nicht müde zu betonen, dass Flugzeuge kaum ein Ort für Ansteckungen sein werden. „Die Luft an Bord entspricht im Grunde der eines Operationssaals“, sagt etwa Tui-Deutschland-Sprecher Dünhaupt. In Flugzeugen wird die Luft üblicherweise von außen angesogen, durch die Triebwerke auf 250 Grad erhitzt und anschließend gefiltert.

Fast 100 Prozent aller gefährlichen Partikel sollen so eliminiert werden. Zusätzlich die Mittelplätze frei zu lassen, wie derzeit oftmals aufgrund der geringen Auslastung, lehnen die meisten Airlines ab. „Wir werden nicht wieder fliegen, wenn die mittleren Sitze leer sein müssen“, erklärte etwa Ryanair-Chef Michael O’Leary unlängst der „Financial Times“. Er ist nicht der Einzige. 

Strenge Hygieneregeln auch in Hotels

Aber selbst wenn man relativ sicher unbeschadet ans Urlaubsziel gelangt: Wie wird man sich vor Ort schützen? In vielen Ländern gibt es ähnliche Auflagen wie in Deutschland, was Abstand und die Belegungszahl eines Hotels angeht. Zudem arbeiten vor allem große Konzerne an Hygienekonzepten, kontaktlosen Abläufen, intensiverer Reinigung, festen An- und Abreisezeiten, um Begegnungen zwischen Gästen zu minimieren. 

Auch das Büfettrestaurant dürfte vielerorts auf absehbare Zeit verwaist sein. À la carte ist die neue Form der  Urlaubsmahlzeit – auch beim Frühstück. Dafür dürfen sich Reisende auf länger geöffnete Restaurants freuen, denn auch dies kann helfen, Menschenströme zu entzerren. Busunternehmer schrauben ganze Sitzreihen aus ihren Bussen, um Abstand zu schaffen. Kreuzfahrtreedereien setzen auf Platz durch maximal halbe Auslastung. Ideen gibt es allerorten. 

Wann wird das Reisen wieder, wie es einmal war?

Aber wie viel Spaß macht eine Urlaubsreise eigentlich unter diesen Voraussetzungen? Mehr Platz im Flugzeug oder im Reisebus ist schön. Aber wie anregend ist die Atmosphäre in einem halb leeren Restaurant, das man womöglich mit Mundschutz betreten muss? Wie langweilig ist das Sonnenbaden am Hotelpool – ohne Plausch mit anderen Gästen an der Bar? Wie viel Spaß macht das Strandleben auf Abstand und womöglich mit Plexiglaskabinen, wie es kürzlich eine italienische Firma vorschlug?

Egal, wann wir wieder reisen können: Es wird zumindest für eine ganze Weile anders sein, als wir es kannten. Womöglich sogar so lange, bis in ausreichender Menge ein Impfstoff erhältlich ist. Die Reisebranche tendiert insgesamt zu einer klaren Linie: Urlaub wird auch künftig möglich sein. Die Frage ist allerdings, zu welchem Preis. „Reisen muss jetzt aus kaufmännischer Sicht unbedingt teurer werden“, vermutet etwa Tourismusexperte Rogl. Für viele Anbieter sei Vollauslastung in der Hochsaison die Basis der Kalkulation. „Jedes nicht verkaufte Bett und jeder nicht verkaufte Sitzplatz führt zu Verlusten.“ 

Massentourismus wie in Venedig ist in Zeiten der Corona-Krise kein Problem mehr.

Einen Nebeneffekt hat die Corona-Krise für den Tourismus bereits jetzt: Niemand klagt mehr über Overtourism. Venedig, Jahr für Jahr Ziel von 30 Millionen Besuchern, gehört in diesen Wochen den Bewohnern ganz allein. Auch in Barcelona ist dies zu beobachten, in Amsterdam und anderen sonst überlaufenen Orten.

Wird der Schock der geschlossenen Hotels, der leeren Strände und verlassenen Innenstädte nachhaltig wirken? Oder werden Städte und Regionen die Corona-Krise zum Anlass nehmen, Tourismus neu zu denken? Die Voraussetzungen dafür schienen nie so ideal wie jetzt.